In diesem Vortrag stellt Gómez-Barris die Frage, wie wir unsere Erinnerung entkolonisieren und alternative, antikapitalistische Lebensentwürfe zur Geltung bringen können. Insbesondere geht es ihr um das Problem, dass gerade die Evakuierung kolonialer und dissidenter Erinnerung aus den beiden Amerikas siedlerkolonialistische und genozidale Logiken reproduziert hat, die eng mit der Geschichte der autoritären Herrschaft in diesen Staaten verflochten sind. Gómez-Barris erkundet Räume „en el Sur“, „im Süden“, wie das ehemalige Konzentrationslager Villa Grimaldi in Chile, Wallmapu an der Südspitze des Kontinents oder postkoloniale Gesellschaftsformen in Bolivien. Sie nähert sich den gelebten Zukünften auf dem Umweg über verschüttete Perspektiven, oder eher über Denkweisen mit dem Potenzial, den Horizont der kolonialen Bedingung und der patriarchalen Staatserzählungen zu überwinden. Im Mittelpunkt ihrer Analyse stehen indigene und feministische Formen von Visualität und gemeinschaftlichem Leben, die normative Prozesse kapitalistischer Akkumulation ebenso außer Kraft setzten wie die Ästhetik des Westens. Gómez-Barris diskutiert den indigenen Experimentalfilm, Anarcho-Feminismen, Umkehrungen des Sehens und gesehen Werdens sowie andere antikapitalistische, anti-ausbeuterische Vorstellungen in Nord- und Südamerika. Sie zeigt, wie diese verschütteten Perspektiven die Unausweichlichkeit der kapitalistischen Dezimierung und des Anthropozäns entkolonisieren, wie sie zugleich andere, regionale, queere und feministische Weltzukünfte in den Vordergrund rücken.
Macarena Gómez-Barris ist Dekanin des Fachbereichs Social Sciences and Cultural Studies am Pratt Institute in Brooklyn, New York. Sie forscht auf den Gebieten des kulturellen Gedächtnisses, der anti-autoritären Ästhetik, des entkolonisierten Denkens, der sozialen Ökologien und der radikalen Alternativen zu unseren Zukunftsentwürfen. Sie ist Autorin von The Extractive Zone: Submerged Perspectives and Decoloniality (im Erscheinen, 2016), Where Memory Dwells: Culture and State Violence in Chile (2009), und Mitherausgeberin (mit Herman Gray) von Towards a Sociology of a Trace (2010). Macarena lehrt zu kulturellen und gesellschaftlichen Dissidentenbewegungen, zur vergleichenden Indigenität und Entkolonisierungstheorie, zu Bildkulturen und lateinamerikanischer Geistesgeschichte. Sie ist Mitherausgeberin von Las Américas Quarterly, einer Sondernummer von American Quarterly (November 2014), sowie von Decolonial Gestures, E-misférica (Mai 2014).