Zainul Abedin (1914–1976)

Zainul Abedin, Ohne Titel (1943), Aus der Serie „Famine Sketches“, Tusche auf Papier
, 42,5 × 52,2 cm, Installationsansicht, Neue Galerie, Kassel, documenta 14, Foto: Milan Soremski



Die Hungersnot in Bengalen 1943/44 bereitete der privilegierten Existenz des bengalischen Malers Zainul Abedin, der in einem noch ungeteilten Indien als Zeichenlehrer angefangen hatte, ein jähes Ende. Bei der Geburt Pakistans im Jahr 1947 war der Dreiunddreißigjährige einer der wenigen professionellen Künstler des neuen Staates. Als Bangladesch 1971 seine Unabhängigkeit erlangte, hatte er bereits dreißig Jahre lang Erfahrungen gesammelt, was die Modernisierung der Kunstpraxis und Kunsterziehung betraf.

Die Begegnung mit den Opfern der bengalischen Hungersnot führte zu einem radikalen Bruch mit seiner künstlerischen Herangehensweise. Detaillierte, anatomisch genaue Szenen wurden durch schnelle Pinselstriche und gestische Ausdrucksweisen ersetzt, um so das Elend der ausgehungerten und halbnackten Körper besser wiederzugeben. Diese Körper wurden mit ein paar Strichen auf kahlen, ebenen Flächen umrissen, die Städtelandschaften andeuten, Kompositionen, die ihre Dynamik ausgestreckten Gliedmaßen oder einem Körper in Bewegung verdanken. Die emotionale Intensität und die visuelle Wucht, die Abedins Reaktion auf die Hungersnot in Bengalen auszeichnen, machen ihn zu einem der wichtigsten Maler seiner Generation. Zainul, der sich seines kulturellen Erbes immer stärker bewusst wurde, wandte sich in den 1950er und 1960er Jahren der Volkskunst und dem Kunsthandwerk der ländlichen Regionen Bengalens zu und verband das Engagement für die Umwelt – die Bewahrung ethnischer, durch Kultur bestimmter Identitäten – mit der visuellen Sprache des Modernismus.

Zainul Abedin, Ohne Titel (1943), Aus der Serie „Famine Sketches“, Tusche auf Papier
, 50,5 × 36,5 cm, Installationsansicht, Neue Galerie, Kassel, documenta 14, Foto: Milan Soremski

Doch waren Abedins Stärken eher emotionaler als konzeptueller Natur, wie sich 1970, ein paar Monate vor dem Ausbruch des bengalischen Unabhängigkeitskriegs erweisen sollte. Als ein Tornado Küstendörfer verwüstete, erinnerte ihn die Apathie des pakistanischen Staates an die Tatenlosigkeit des Kolonialstaates im Jahr 1943. Unter dem Eindruck des Besuchs einer betroffenen Region entstand die Manpura-Serie mit ihren Skizzen, die mit wenigen Pinselstrichen, die sich in gestischen Linien durch karge Räume bewegen, minimalistische (aber vollkommen ausgeformte) Figuren umreißen. Wieder einmal sehen wir, wie der Übergang einer traditionellen Gesellschaft in die Moderne in der realen Welt wie auch in der Welt der Bilder stattfindet.

Während Abedin sich als Künstler immer weiter entwickelte, definierte sich sein Land in religiöser, sprachlicher und ethnischer Hinsicht ständig neu. Er lebte sein Leben als Staatsbürger des Britischen Empire sowie Indiens, Pakistans und schließlich auch Bangladeschs. Doch seine Kunst war nicht von Ideologie oder Identität geprägt, sondern ließ sich von der neuen Modernität des Geistes inspirieren.

—Prabranjan Ray

Zainul Abedin, Aus der Serie „Famine Sketches“, Installationsansicht, Neue Galerie, Kassel, documenta 14, Foto: Milan Soremski

Gepostet in Notizen am 01.09.2017
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