Montag, 10. April 2017, 24.00 Uhr auf ERT2
Chamissos Schatten, Kapitel 1: Alaska und Aleutische Inseln, 2016, Deutschland, 193 Min.
Regie: Ulrike Ottinger
Ulrike Ottingers Chamissos Schatten, Kapitel 1: Alaska und Aleutische Inseln nimmt Aufzeichnungen von Adelbert von Chamisso zum Ausgangspunkt. Der Botaniker und Dichter des 19. Jahrhunderts war ein Mitreisender der Romanzow-(Rurik-)Forschungsexpedition, deren Ziel es war, die Nordwestpassage zwischen dem Pazifischen und dem Atlantischen Ozean zu finden. Chamissos Schatten, weder Reisetagebuch noch Dokumentation, verwebt Klänge und Bilder zu einem kinematografischen Gewebe, das die Vergangenheit mit der Gegenwart und die Kunst mit der Ethnografie verbindet.
Ottinger kombiniert Beobachtungen aus den Reisenotizen Chamissos mit Auszügen aus dessen 1814 verfasster Novelle Peter Schlemihls wundersame Geschichte, hinzu treten Aufzeichnungen früherer Forschungsreisender und ihre eigenen Erfahrungen. Das Ergebnis ist eine Meditation über die expansionistische Phase des Kapitalismus und über die Idee des Beobachters als eines Subjekts, das von der Geschichte konstruiert wird.
Die Deutsche Romantik, die zur Zeit von Chamissos Reise in voller Blüte stand, vertrat die Idee, dass die Natur und die Kultur wechselseitig voneinander abhängig seien. Im selben Maße sollten die Naturwissenschaften und die Geisteswissenschaften einander angeglichen werden. Auch der erzählerische und ästhetische Ansatz dieses Films drückt das Begehren aus, diese Trennungen zu überwinden: zwischen Wissenschaft und Kunst, zwischen Beobachter und Beobachtetem, zwischen Menschen und Nicht-Menschen.
Ottinger strukturiert die filmische Erfahrung von Raum und Zeit neu, indem sie sich zwischen dem Damals und dem Jetzt bewegt und damit Zwischen-Räume erkundet. Ihr Film bewegt sich entlang der Grenze zwischen dem, was beobachtet wird, und dem, was repräsentiert wird. Chamissos Schatten ist ein Bericht über den sich wandelnden Prozess der Wahrnehmung.
—Raquel Schefer, Filmemacherin und Wissenschaftlerin