Montag, 12. Juni 2017, 24.00 Uhr auf ERT2
Leviathan, 2012, USA/Frankreich/Großbritannien, 87 Min.
Regie: Véréna Paravel und Lucien Castaing-Taylor
Der Film Leviathan von Lucien Castaing-Taylor und Véréna Paravel hat die Tradition des Dokumentarfilms revolutioniert. Seine verstörend raue und halluzinatorische Darstellung moderner Industriefischerei verwandelt den kinematografischen Blick in eine immersive Erfahrung.
Leviathan spielt an Bord eines Grundschleppnetzschiffes, das entlang der Küste von New Bedford, Massachusetts, kreuzt, dem wichtigsten Walfanghafen des 19. Jahrhunderts und heute größten Fischereizentrum der USA. Er wurde zur Gänze mit Handkameras gedreht, die an den Kameraleuten, der Crew sowie an diversen Gegenständen, die zur Infrastruktur des Trawlers gehören, angebracht waren. Das Ergebnis ist eine gleichermaßen emotionale wie abstrakte Erfahrung des Meeres.
Ebenso gewaltsam wie packend zeigt der Film, wie seine menschlichen und nicht-menschlichen Figuren und Motive aufeinanderprallen. Seeleute, Fische, Vögel, Wellen, aber auch Kabel, Ketten und metallische Vorrichtungen sind im unablässigen Kampf zwischen Leben und Tod, Ressourcen und Konsum, Individualität und Kollektivität verstrickt. Dieses Aufeinanderprallen erschüttert jede romantische Vorstellung vom Meer. In der filmischen Darstellung der brutalen Ausbeutung maritimer Ressourcen und Menschen, die unter extremen Bedingungen arbeiten müssen, findet das literarisch und künstlerisch Erhabene seinen Kontrapunkt.
Der Ton ist für Leviathan ebenso bedeutungstragend wie das Bild. Es ist ein Film jenseits der gesprochenen Sprache und ohne Dialoge: Die einzigen menschlichen Stimmen, die zu hören sind, sind sporadische körperlose Rufe inmitten des unablässigen Tosens des Meeres und Dröhnens der Schiffsmotoren. Dunkel und majestätisch nimmt Leviathan seine Zuschauer_innen mit auf eine ungestüme Reise jenseits aller herkömmlichen Zeit- und Wahrnehmungsmuster.
—Filipa Ramos, Autorin und Redakteurin