Editorial
Fast genau ein Jahr vor Eröffnung der documenta 14 in Athen und vierzehn Monate vor der geplanten Eröffnung ihrer zweiten und abschließenden Station in Kassel geht die zweite Ausgabe von South as a State of Mind als Magazin der documenta 14, in Druck. Wie in dem ursprünglichen, 2013 vorgestellten Konzept vorgesehen, wird die documenta 14 von April bis September 2017 insgesamt 163 Tage dauern und sich als eine Ausstellung auf zwei eigenständige, einander teilweise überlagernde Zeitschienen verteilen. Somit wird die documenta 14 zwei Standorte haben, die emblematisch für die äußerst polarisierten Staaten und Zustände des heutigen Europas, vielleicht sogar der gesamten Welt sind. Seit Anfang 2015, als wir uns an die Gestaltung des South-Magazins der documenta 14 machten und parallel mit der kuratorischen Vorarbeit für die Ausstellung begannen, verlor sich das unsere Zukunft bestimmende politische Geschehen immer wieder im Nebel des Ungewissen. Zugleich wird dieses Geschehen merkwürdig vorhersehbar, weniger abstrakt und fern, wie es noch vor nicht allzu langer Zeit erschien.
Die anhaltende militärische und politische Einmischung der westlichen Mächte und Russlands in Syrien hat zu einem blutigen, allzu vorhersehbaren Patt geführt – einer gern benutzten Figur in der Weltpolitik der Kriegstreiber. Zugleich gehen auch die Konflikte in Afghanistan, Irak und im subsaharischen Afrika weiter. Diese Kriege sind oft eine Folge westlicher Politik nach dem Ende der Kolonialära oder späterer Militärinterventionen. Sie haben Millionen Menschen in die Flucht vor ihrer unerträglichen Gewalt getrieben. Nun setzen diese Menschen beim Überqueren der Ägäis und des Ionischen Meeres gezwungenermaßen ihr eigenes Leben und das Leben ihrer Kinder aufs Spiel, um dann in Griechenland so gut wie ohne Aussicht auf Zuflucht zu landen. Sie sitzen hier in der Falle eines krisengeplagten Staates, und es droht ihnen als Folge des deutsch-türkischen „Einer rein, einer raus“-Flüchtlingsabkommens die sofortige Abschiebung in die Türkei. Dieser Tauschhandel erinnert – wenn auch in merkwürdig verzerrter Form – an den gewaltsamen Bevölkerungsaustausch von 1923 zwischen Griechenland und der Türkei nach dem Vertrag von Lausanne.
Unterdessen verschlechtern sich die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in Griechenland immer weiter. Eine nominell linke Regierung hat (mit stillschweigender Duldung der neoliberalen Opposition) eine ganze Reihe von Sparmaßnahmen eingeleitet, die von der EU und den ihr zugehörigen internationalen Finanzinstitutionen angeordnet wurden. Dieser Politik ist jeder noch so entfernte Gedanke an einen sozialen und wirtschaftlichen Wiederaufbau abhanden gekommen. Sie hat im Land nichts als Apathie, Frustration und Enttäuschung, im besten Fall noch Wut bewirkt.
Übertreiben wir? In Deutschland finden Rechtspopulismus (im Gewand der Partei Alternative für Deutschland) und Rechtsextremismus (als Sammelbewegung einer Furcht vor dem „Anderen“, die nicht zwischen deutschen Muslimen, neuen Flüchtlingen und Terroristen unterscheidet) so viel Zuspruch wie nie zuvor seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Ähnlich nationalistische, ausländerfeindliche Kräfte in demokratischer Bemäntelung setzen sich seit einiger Zeit auch anderswo in Westeuropa (siehe Österreich, Dänemark, Frankreich, Schweiz) und in den Ländern des ehemaligen Ostblocks durch (man denke etwa an Ungarns Machthaber Viktor Orbán und Jarosław Kaczyński in Polen). In Russland beschwört Wladimir Putins Regime mit der Annexion der Krim und dem Krieg im Osten der Ukraine die Gespenster des Kalten Krieges herauf. Bis vor Kurzem noch randständige Parteien machen sich allen Arten des populistischen Ressentiments zu Nutze. Sie profitieren auch davon, dass die früheren „Groß“-Parteien neue politische Ansätze auf der Grundlage der Solidarität und der Pflege der Gemeingüter vermissen lassen.
Alle diese äußerst beunruhigenden Entwicklungen haben innerhalb der letzten beiden Jahre stattgefunden, zeitgleich mit den Vorarbeiten für die documenta 14. Als ein Team, das in Athen und Kassel tätig ist, spüren wir deutlich den Druck, unter dem wir agieren. Kürzlich begrüßten wir die ersten der zur Teilnahme an der documenta 14 eingeladenen Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt in Athen, und dabei wurde immerhin klar: Solange es wenigstens für einzelne Menschen noch eine gewisse Bewegungsfreiheit gibt, können wir (in vollem Bewusstsein, dass es sich um ein Privileg für wenige handelt) immer noch gemeinsam an anderen Szenarien arbeiten, immer noch Strategien gegen diese vorherrschenden Modi und Modalitäten der Passivität, der Kontrolle, des Terrors – und gegen die um sich greifende Zerrüttung des gesellschaftlichen Zusammenhalts in allen Bereichen des Lebens – finden. Auch das ändert aber nichts daran, dass sich die Nationalstaaten weiter an den Kapitalströmen ausrichten und laufend ihre Strategien optimieren, das eine Prozent noch weiter zu begünstigen; auch nichts daran, dass die einst ominösen, sich am Horizont abzeichnenden Gefahren nun bittere Realität sind und an unsere Türen klopfen (sofern man eine Tür hat).
„Die Menschen leben in ständiger Todesgefahr, also wollen sie ihre Geschichte erzählen“, erklärte Charif Kiwan, Sprecher des syrischen Filmemacherkollektivs Abounaddara, jüngst in einem Gespräch.1 Im vergangenen Jahr haben wir entschieden, dieser Vereinigung anonymer Filmemacher die Website der documenta 14 für ihre freitägliche Veröffentlichung neuer Filme syrischer Autodidakten zur Verfügung stellen. Die Aktivisten selbst nennen ihre Arbeit durchaus treffend „Notfallkino“. Wir sind überzeugt, dass der Kampf um das „Recht auf ein würdiges Bild“2, den das Kollektiv seit seiner Gründung während des Volksaufstands in Syrien 2011 führt, unterstützt werden sollte. Auch wenn unklar bleibt, was die zeitgenössische Kunst an den zunehmend unhaltbaren und immer weniger nachhaltigen Verhältnissen der Welt ändern kann, hoffen wir doch, mit den für die documenta 14 produzierten oder in ihrem Rahmen gezeigten Arbeiten einige mögliche Antworten auf diese Frage geben zu können. Die allerersten Stellungnahmen der Künstlerinnen und Künstler, die Anfang 2016 nach Athen kamen, waren jedenfalls vom Gefühl der Dringlichkeit politischer, sozialer und ökologischer Veränderungen in diesem historischen Moment geprägt. Ebenso hoffen wir, dass diese zweite Ausgabe des South-Magazins der documenta 14 dem Anspruch gerecht wird, sich der Wirklichkeit zu stellen – ohne in die Falle der unmittelbaren Repräsentation zu tappen, die schon deshalb fragwürdig ist, weil auch die heutigen repräsentativen Demokratien nicht einmal mehr nach Wegen aus der politischen Sackgasse suchen, in die sie geraten sind.
Worte und Bilder können in den Dienst der kritischen Untersuchung genommen werden; ebenso können Stille und Masken, wenngleich sie den Anspruch selbstverständlicher Wahrhaftigkeit aufheben, einer politischen Aussage klarere Konturen verleihen. Mittels dichterischer Auslassung oder dramatischer Inszenierung, durch öffentliches Geschichtenerzählen oder vertrauliches Weitergeben persönlicher Erlebnisse lässt sich inmitten der Kontingenzen des zertrümmerten Alltagslebens eine epische Dimension wiedergewinnen. Eine erste Etappe dieses Prozesses (das Magazin ist eine weitere) war eine Serie von Künstlerbesuchen in den Arbeitsräumen der documenta 14 an den Kunsthochschulen von Athen und Kassel, zu denen auch halböffentliche Begegnungen mit Studierenden und Lehrern gehörten. Es ging dabei um ein diskursives wie physisches Verorten des Kunstwerks in einem Raum, den wir als einen zugleich poetischen und gesellschaftlichen – mithin politischen – gestalten wollen. Die Diskussion über mögliche soziale und politische Bedeutungen von Artefakten, Ritualen und dichterischem Handeln für bestimmte Gemeinschaften zieht sich auch als roter Faden durch diese Ausgabe von South. Sie zeigt, dass es dem zeitgenössischen künstlerischen Arbeiten durchaus möglich ist, über seine ästhetischen, merkantilen oder bloß kunstintern kritischen Funktionen hinauszugehen. Sowohl im Magazin als auch bei der Ausstellung der documenta 14 werden wir weiter daran arbeiten, diese Bedeutungen einer kritischen und öffentlichen Betrachtung zu erschließen.
Masken als Widerstand. Stille als Widerstand. Beide vielleicht paradoxerweise auch als Mittel des Handelns und Sprechens, als Formen politischer und ästhetischer Teilhabe. Man denke etwa an die jüngsten Bilder von antikapitalistischen Demonstranten in ihren Guy-Fawkes-Masken beim „Million Mask March“ im November 2015 auf den Straßen von London, oder an eine Sprache ohne Rest, wie George Bataille sie beschreibt: „Ich wollte eine Sprache sprechen, die gleich null wäre, die zum Schweigen zurückkehrte.“3 In dieser Ausgabe von South as a State of Mind erforschen und tragen wir Masken als historische und zeitgenössische Mittel der Okklusion oder Subversion – als häufig gebrauchte Formen des Widerstands gegen den entmenschlichenden, globalwirtschaftlichen Nexus von Staatsangehörigkeit, Geografie, Rasse und Geschlecht und die Art und Weise, in der dieser unseren Körpern elementare Rechte diskriminierend zuweist oder vorenthält.
Parallel dazu untersuchen wir die Stille – eine von vielen Masken der Sprache – als Reaktion auf die hohle Autorität und den Autoritarismus so vieler Kommunikation, auch auf eine historisch weit zurückreichende Sprachflut nationalistischer Propaganda, neoliberaler Predigten und Kapitalbewegungen. Falls Stille und Masken sich tatsächlich als Metaphern und Verkörperungen des ästhetischen und politischen Protests eignen, bieten sie auch Möglichkeiten zur Behauptung und Ausweitung von Subjektivität und kollektivem Bewusstsein. Wie die hier versammelten Beiträge zeigen, finden sich Masken und Stille oft dort, wo Politik und Ästhetik, politischer Widerstand und Kulturproduktion aufeinandertreffen und ineinander übergehen. In der zeitgenössischen Kunstpraxis ist Stille ebenso wie in der Geistesgeschichte meist mit Reduktion, Verweigerung und Rückzug verbunden; demgegenüber betrachten wir die Stille hier als einen notwendigen Teil der Sprache, dem nicht so sehr an der Verdichtung der Moderne, an der Ästhetik des weißen Blattes Papier und am künstlerischen Rückzug gelegen ist, sondern vielmehr daran, das Schweigen und Zuhören als politischen Akt und radikale Aufnahmebereitschaft in Anschlag zu bringen. Still zu sein drückt dann nicht mehr nur Widerstand aus, sondern auch Aufnahme und Anerkennung. Wie Stathis Gourgouris in seinem Essay sagt: „Man lauscht dem Universum noch vor allem anderen.“
Dennoch ist und bleibt „das Spektakel die Sprache“, wie Giorgio Agamben festgestellt hat. „Das bedeutet: die Marx’sche Analyse muss dahingehend ergänzt werden, dass der Kapitalismus (oder wie immer man die Entwicklung bezeichnen will, die heute die Weltpolitik beherrscht) nicht allein auf die Enteignung der produktiven Tätigkeit ausgerichtet war, sondern auch und vor allem auf die Entfremdung der Sprache selbst, der sprachlichen und kommunikativen Natur des Menschen, jenes logos, in dem ein Fragment des Heraklit das Gemeinsame [il comune] ausmacht.“4 Dieser Entfremdung zu widerstehen und dieses Gemeinsame – in der Sprache wie im Leben – ansatzweise wiederzufinden, führt oft hin zur Stille oder zur Berufung auf sie. Und diese wiederum kann paradoxerweise eine Flut und Vervielfachung von Gesprochenem nach sich ziehen – wie eben auch in der vorliegenden Publikation.
Zu sehen (oder zu hören) ist das etwa in Barbara Casavecchias klangvollem Essay „Taci, anzi parla“, dessen Titel auf die italienische Kunstkritikerin und Aktivistin Carla Lonzi und ihr „Tagebuch einer Feministin“ von 1978 Bezug nimmt. Casaveccias Text widmet sich einer Gruppe italienischer Künstlerinnen und Kunstkritikerinnen aus den 1960er und 1970er Jahren, die Sprache als etwas „Textliches, Körperliches, Performatives, Politisches und Mittelbares“ definierten. Diese Anmahnung Lonzis – und ihre implizite Schlussfolgerung, dass der Aufruf zum Schweigen eng mit dem Wortergreifen verbunden ist – lässt sich auch aus den Seiten davor und danach heraushören, denn diese sind erfüllt von lauter Stimmen, die über und durch die hellen und dunklen Masken der Sprache sprechen.
Wie schon in der ersten Ausgabe von documenta 14 South führen auch in diesem Band die einzelnen herausgestellten Stimmen ein Gespräch, das Grenzen von Raum und Zeit überwindet. In ihrem (hier in englischer Sprache reproduzierten) Gedicht „Fragments for Subduing the Silence“ schreibt die argentinische Dichterin Alejandra Pizarnik: „The girl lying in the sand nestles into me with her wolf mask. The one who couldn’t stand it anymore and begged for flames and whom we set on fire.“ Pizarniks gespenstische, hellsichtige Zeilen erinnern an die Geschichte der Kannibalin Dzunuk’wa, die der Kwakwaka’wakw-Maskenschnitzer Beau Dick so häufig dargestellt hat. Wie Candice Hopkins in „Gesellschaft als Verbrechen“, ihrer Geschichte des Potlatch und der Werke von Beau Dick, schreibt: „Nach der Überlieferung gab es einmal eine Gemeinde, die beschloss, sich gegen Dzunuk’wa zu wehren. Die Menschenfresserin wurde gefangen und getötet. Damit sie ganz sicher nicht wieder ins Leben zurückkam, entzündete man ein großes Feuer, um ihren Körper zu verbrennen. Doch kaum war Dzunuk’was Körper schwarz und angesengt, verwandelte sie sich in einen Mückenschwarm.“ Nach Hopkins hat „etwas von dieser Verwandlung und Zerstreuung der Dzunuk’wa auch der Potlatch durchgemacht – als ein Brauch, der nur dank seiner Formwandlungen den Höhepunkt kolonialer Gewalt und Unterdrückung überlebte.“
Die Geschichte der Dzunuk’wa erinnert – mit ihren Schichten kolonialer und geschlechtsspezifischer Gewalt – auch an die titelgebende „Draupadi“ in der Kurzgeschichte von Mahasweta Devi. Wie Devis Übersetzerin Gayatri Chakravorty Spivak in ihrem hier abgedruckten Vorwort erläutert, erschien „Draupadi“ zuerst in einer Sammlung von Erzählungen namens Agnigarbha (Schoß des Feuers). Die Hauptfigur beruht auf einer Heldin des indischen Mahabharata-Epos. In dieser vorangegangenen Erzählung ist es Draupadi, die „provides the occasion for a violent transaction between men.“ Als ein „enemy chief begins to pull at Draupadi’s sari“, schreibt Spivak „the Idea of Sustaining Law (Dharma) materializes itself as clothing … Draupadi is infinitely clothed“. Devis Lebensgeschichte unterläuft diesen Moment beharrlich und nackt: Eine Gruppe von Männern reißt Drapaudi die Kleider vom Leib und vergewaltigt sie als „political punishment by the representatives of the law.“ Doch sie bleibt „publicly naked at her own insistence.“
Nackt zu bleiben, wenn einen die Behörden lieber zudecken würden (um ihre eigene Gewalt zu verschleiern): Auch das kann eine Form von Widerstand sein. Und so hält sich unsere Erforschung des Maskierens in dieser Ausgabe nicht nur in metaphorischen Gefilden auf, sondern verhandelt auch Objekte und Handlungen als kulturell-politische Tatsachen. Für viele First Nations und indigene Völker waren Masken nicht nur ästhetische Artefakte, die westliche Völkerkundemuseen (durch Diebstahl, Erforschung und Ausstellung) sich aneigneten, sondern auch im Rahmen von Zeremonien angewandte politische Instrumente. Clémentine Deliss und Frédéric Keck erörtern in „Occupy Collections!“ die dringende Erfordernis, den Umgang mit ethnografischen Sammlungen anders zu regeln, während Maria Thereza Alves, Jolene Rickard und Candice Hopkins in „Fair Trade Heads“ Überlegungen zu Herkunft und Rückführung, sakralen Gegenständen und Kulturerbe im Kontext von Kolonialismus und Neokolonialismus anstellen. Elsa Dorlin erneuert in ihrem Beitrag die Deutung von Frantz Fanons Schlüsselwerk Schwarze Haut, weiße Masken mit besonderer Berücksichtigung des kolonisierten Subjekts, der verletzbaren Körper und der Gewalt (gegen sich selbst und andere).
Im Kunstprojekt von Mariana Castillo Deball für das Magazin setzt sich diese Untersuchung des – mal menschlichen, mal tierischen, jetzt herausgeschnittenen oder anderes – verletzbaren, umformbaren, immer neue Verkleidung ermöglichenden Körpers fort. Gestanzte Seiten aus griechischen und deutschen Tageszeitungen beschreiben die Umrisse eigentümlich symmetrischer Mischformen von Mensch und Tier. Anklänge an diese Arbeit – und an ihre Themen Exil, Formwandlung, grenzartige Spuren der Geschichte, Schrift und Papier – finden sich wiederum in den Gedichten von Pizarnik. „The little paper doll: I cut her out of green and red and sky-blue paper,“ schreibt sie etwa. „They set you in the middle of the road, little wanderer … my images leave imprints, without sound, without color (not even white). If the tracks of night animals etched into the inscriptions on my bones – If I rooted into the place of memory the way an animal padding along a mountain ledge could suddenly make the slightest misstep and fall – I speak of the irreparable.“
Aus Athen – unter der steten Stille seiner Sonne – schreiben wir dies und denken dabei an Gewalt und Wiedergutmachung, an die vielen Körper (ob zurückhaltend oder empfänglich, geschmückt und widerständig, oft auch vertrieben und in Verwandlung begriffen) sowie an die Stimmen, die diesen Band von South as a State of Mind bevölkern und maskieren. Unter all den Verkleidungen, die diese Ausgabe füllen – von denen der Zapatistas im heutigen Mexiko bis hin zu jenen der griechischen surrealistischen Fotografin Nelly aus den 1930er Jahren, von den Masken tierähnlicher Götter bei den First Nations, für Jahrhunderte gemacht, bis hin zu den Pfeilschwanzkrebsen, die es in Südasien seit 450 Millionen Jahren gibt – betrachten wir auch noch eine weitere: die Maske und vielfache Formwandlung der Publikation selbst. „Body writing“, wie Mustapha Benfodil aus diesen unseren Seiten heraus schreibt. Bücher, die sich gegen sich selbst wenden („This is thinking“), sagt die geheimnisvolle Elena Ferrante über Carla Lonzi. Die Publikation – die Sprache als solche – ist die große Maske. Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre.
Aus dem Englischen von Herwig Engelmann
1 Charin Kiwan in einem Gespräch an der New School, New York, zit. in: Melena Ryzik, „Syrian Film Collective Offers View of Life Behind a Conflict“, in: New York Times, 18. Oktober 2015. Online: http://www.nytimes.com/2015/10/19/movies/syrian-film-collective-offers-view-of-life-behind-a-conflict.html.
2 Abounaddara zitiert in Christy Lange, „Emergency Cinema“, in: frieze, 18. März 2016. Online: https://www.frieze.com/article/emergency-cinema.
3 Georges Bataille, Die Erotik, übers. v. Gerd Bergfleth, Berlin: Matthes & Seitz 1994, S. 247.
4 Giorgio Agamben, Mittel ohne Zweck, Zürich und Berlin: Diaphanes 2006, S. 72 f.