Meine erste Begegnung mit Joaquín Orellana Mejía fand Ende Mai 2015 in seinem Atelier im Nationaltheater von Guatemala statt, inmitten seiner Klanggeräte (útiles sonoros). Dass der 1930 in Guatemala-Stadt geborene Komponist und Erfinder seinen unzähligen Variationen auf die Marimba einen Namen mit kulinarisch-praktischem Beiklang gab, sagt einiges über seinen trockenen Humor. Im Dezember 1968, nach seiner Rückkehr vom Centro Latinoamericano de Altos Estudios Musicales am Instituto Di Tella in Buenos Aires, begann er dieses guatemaltekische Nationalinstrument abzuwandeln, und er entdeckte (erkennbar schon 1971 in Humanofonía) sein Lebensziel darin, „den Klang des Hungers zu erschaffen“. Dies erklärt, warum seine Tonsprache ebenso lyrisch und gefühlvoll wie verspielt sein kann. Die Klanggeräte nehmen im Zusammenhang des Hungerempfindens ein anderes, düster-ironisches Timbre an, wenngleich sich der Hunger selbst multiplizieren und sowohl Mangel als auch Appetit andeuten kann.
Geräte, oder útiles auf Spanisch, rücken die Nützlichkeit in den Vordergrund – eine Qualität, der die zeitgenössische bildende Kunst nicht gerade nacheifert, da sie nach wie vor von den Autonomieträumen ihrer Avantgarde-Ahnen heimgesucht wird und vor der Instrumentalisierung durch Staaten, Konzerne oder übermächtige Sammler und Mäzene flieht. Die Klanggeräte vor und nach dem Hören in erster Linie als Skulpturen zu betrachten, verhilft den Erfindungen von Maestro Orellana zu größerer Geltung. Doch müssen sie auf der documenta 14 auch ihren Zweck als Instrumente erfüllen, und zwar anlässlich der Erstaufführung der Sinfonía desde el Tercer Mundo (Symphonie aus der Dritten Welt).
Hierzu eine persönliche Erinnerung aus der Zweiten Welt, wie der Ost- oder sowjetische Block in der Zeit des Kalten Krieges genannt wurde (inzwischen ist auch er den Weg des Dodo gegangen): Mein Großvater versucht, mir das Löffelspiel beizubringen, und erklärt mir, dass es aus einer Zeit der Not zu uns gekommen ist, die aber auch erfinderisch macht. Also sei zufrieden, finde einen Rhythmus, und mache dich um Himmels willen nützlich! Mit der Dritten Welt als Absender kann Orellanas Musik auch heute noch ein sattes Empfinden von Armut, Hunger, Gewalt, Leid, gutem Wetter und schönen Erinnerungen vermitteln. Mit seiner Musik und seiner gesamten Herangehensweise serviert Orellana die gesellschaftlich-klanglichen Verhältnisse der Dritten Welt, verbunden mit einer Herausforderung: Großer Einfallsreichtum wird von allen erwartet, die mit Orellanas Arbeit in Kontakt kommen. Sein eigenes Leben und das vieler anderer – will sagen, ein Großteil allen Lebens auf der Erde – enthalten die Botschaft, dass die Erste Welt ihren Teil vom Kuchen behalten kann. Aber kann diese Welt Orellanas Musik auch essen und trinken? Und kann sie das tun, ohne die Musik zu konsumieren?
— Monika Szewczyk