Pavel Brăila

Pavel Brăila, The Golden Snow of the Sochi Olympics (2014), Schnee von den Olympischen Spielen in Sotschi, in einem Glas im Gefrierschrank gelagert, 7,5 × 6 × 9 cm

Pavel Brăila, The Golden Snow of the Sochi Olympics, 2014, Schnee von den Olympischen Spielen in Sotschi und andere Materialien, EMST – Nationales Museum für Zeitgenössische Kunst, Athen, documenta 14, Foto: Mathias Völzke

Pavel Brăila, The Ship, 2017, ­öffentlicher Bus (KVG-Linie 16), verschiedene Orte in Kassel, documenta 14, Foto: Fred Dott

Pavel Brăilas Rückkehr zur documenta 14 steht nach seinem Film Shoes for Europe (2000), den er bei der documenta 11 zeigte, für das Coming-of-Age einer komplexen künstlerischen Praxis. Seine Arbeiten haben sich von einem spezifischen Medium gelöst und bringen das zur Sprache, was schwer auszusprechen ist. Sie verleihen nicht nur Chișinău – der Stadt, in der er 1971 geboren wurde – und Moldawien, dem Puffer zwischen den Weltmächten, eine Stimme, sondern allgemeiner all dem, was bei der lückenlosen Festlegung des geopolitischen Diskurses durch das Raster fällt.

Es ist beispielsweise schwierig, das Wort „Olympia“ in der Nähe der verfallenen Stätten der Sommerolympiade von 2004 auszusprechen, einem der Symbole der untergegangenen griechischen Wirtschaft. Wir haben keine Vorstellung mehr davon, wofür die Olympischen Spiele jenseits der unseligen Allianz von globaler Macht, militarisiertem Klassenkampf und Unternehmenskapital eigentlich stehen sollen. Wie Brăila in The Golden Snow of the Sochi Olympics (2014) zeigt, ist dieses Narrativ jedoch alles andere als stimmig. Seine Arbeit fördert den Widerspruch zutage zwischen den olympischen Tugenden, die 98 Gläsern mit künstlichem Schnee für ein Weltereignis in einer Stadt mit subtropischen Temperaturen zuteilwurden, und dem Titel der Arbeit, der an beschämende Versäumnisse erinnert – insbesondere die spektakuläre technische Panne bei der Eröffnungszeremonie, bei der eine stilisierte Schneeflocke sich nicht in den fünften olympischen Ring verwandelte. Tiefgründiger verweist die Arbeit auf den besonderen Irrsinn, der den Kern globaler Politik ausmacht.

Eine andere von Brăilas Arbeiten verleiht all jenen eine Stimme, die seit Langem durch hegemoniale ökonomische Zweckrationalität zum Schweigen gebracht und zum „Narren“ gehalten wurden: den „Anderen“, „Armen“ oder „Verrückten“. The Ship (2017), ein öffentlicher Bus, der durch die Straßen der Stadt kurvt, als stände er zur Hälfte im Meerwasser, macht sich Stultifera Navis oder das „Narrenschiff“ zu eigen, das als literarischer Topos im mittelalterlichen Europa aufkam und bis heute fortbesteht. Etwas an dieser Ausweisung des vagabundierenden Narren und seiner Rückübergabe an das Meer erinnert an das Post-2008-Narrativ eines Europas der zwei Geschwindigkeiten: schneller im „zivilisierten“ Norden und langsamer im „faulen“ Süden. Brăilas Schiff präsentiert eine Welt im Wandel, die durch das Wasser des Ägäischen Meeres vermittelt wird und Passagier_innen weder diskriminiert noch ausschließt. Hier sind alle willkommen, Bürger_innen und sans-papiers, Einheimische und Besucher_innen, so wie The Ship uns daran erinnert, dass wir alle Andere sind, alle als Narren und Närrinnen auf einem Meer der Unbeständigkeit treiben.

— Vlad Morariu

Gepostet in Öffentliche Ausstellung
Auszug aus dem documenta 14: Daybook
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