Vier Jahre sind bereits seit dem Tod des kubanischen Malers und Bildhauers Antonio Vidal vergangen, aber seine Lebensgeschichte ist noch immer voller Rätsel, die es zu entschlüsseln gilt. Seine intellektuelle Reifung ist eng verbunden mit der Künstlerwelt rund um das Café Antillano am Paseo del Prado in Havanna, einem Ort, an dem er mit anderen Schriftsteller_innen und Künstler_innen verkehrte, die mittlerweile in das kollektive Gedächtnis des Landes eingegangen sind. An diesem Ort klingen die Stimmen von Hugo Consuegra, Guido Llinás, Pedro de Oraá, Tomás Oliva, José Álvarez Barragaño und Raúl Martínez nach.
Antonio war ein Gegner der Diktatur und aller Formen des Totalitarismus. Er wurde 1928 in Havanna geboren und war 1954 bereits ein wesentlicher Bestandteil der Ausstellung Contemporary Cuban Art: Homage to José Martí im Lyceum von Havanna. Diese als „Anti-Biennale” verstandene Ausstellung sollte das gemeinsame Interesse von Francisco Franco und Fulgencio Batista an einer spanisch-amerikanischen Biennale untergraben. Bei dieser von vielen aufstrebenden Künstler_innen der Zeit genutzten Gelegenheit lässt sich die Genese des kubanischen Abstraktionismus beobachten, welcher die Trennung von Kunst und Leben zugunsten der stets kontroversen Beziehung der Kunst zur Politik aufgibt.
Wie alle Künstler war auch Antonio nicht frei von Widersprüchen. Er träumte davon, Comickünstler zu werden, legte aber gleichzeitig viel Wert auf das Arbeiten mit Textur und hatte einen Sinn für das Gleichgewicht zwischen Bildebenen und die Emotion der Farbe. Er war ein außergewöhnlicher Lehrer, ein Mann weniger Worte aber präziser Bewegungen. Er brachte seinen Schüler_innen bei, dass es in der Kunst keine Abkürzungen gibt; du musst spüren und leben was du tust. Er behielt sich auch eine private Welt vor, was selbst seine Ehefrau Gladys immer wieder aufs Neue schockte. Zum Ende seines Lebens hin erschien eine Reihe erotischer Comics, sein jahrelanges großes Geheimnis.
Er gönnte sich den doppelten Luxus, den Markt zu verachten und den Ruhm zu verspotten. Als er 1999 den Nationalen Kunstpreis des kubanischen Kulturministeriums erhielt, bestand seine Dankesrede aus einem einzigen Wort „Danke“.
Sein Tod ist gleichzeitig auch das Ende einer Ära: Vidal war das letzte überlebende Mitglied der Grupo de los Once (Gruppe der Elf), welche in den 1950er Jahren die kubanische Kunst für immer veränderte. Er hätte sich wohl nie vorstellen können, dass ihn die documenta 14 erwartete.
—Jorge Antonio Fernández Torres