In den späten 1960er Jahren hat sich der amerikanische Komponist und Pianist Frederic Rzewski mit dem experimentellen britischen Komponisten Cornelius Cardew angefreundet, einem der Gründungsmitglieder des bekannten experimentellen Musikensembles Scratch Orchestra. In den frühen 1970er Jahren hatte Cardew sich dem Kommunismus zugewandt, und seine politischen Ansichten beeinflussten auch seine Kompositionen. In einem 1997 in der New York Times erschienenen Interview bemerkte Rzewski im Hinblick auf Cardews entscheidenden Einfluss auf sein Werk: „Cardew schrieb Stücke, die auf überzeugende Weise bewiesen, was mithilfe einer Tonsprache, mit der viele Menschen etwas verbinden, gemacht werden kann, um fortschrittliche politische Ideen zu verbreiten.“ Dieser Einfluss, zusammen mit seinen Erfahrungen als Mitglied der 1966 in Rom gegründeten Musica Elettronica Viva (MEV) führten dazu, dass Rzewski Kompositionen schrieb, die immer stärker seine politischen Überzeugungen reflektierten.
Mit den 1974 entstandenen Thälmann Variations, einer Hommage an Ernst Thälmann, hatte Cornelius Cardew an dessen dreißigsten Todestag erinnert. Der Vorsitzende der Kommunistischen Partei Deutschlands war 1944 im Konzentrationslager Buchenwald ermordet worden. Während die Thälmann Variations auf einem bekannten Lied der deutschen Arbeiterbewegung basierten (Ernst Thälman-Lied von 1934), war We Sing For the Future, ein 1981 entstandenes Solostück für Klavier, Teil seiner ständigen Bemühungen, Großbritannien zu politisieren und auf den Kampf hinzuweisen, mit dem die junge Generation in einer imperialistischen Welt zu rechnen hatte. Im Dezember 1981 kam Cardew in London auf mysteriöse Weise ums Leben: Er wurde das Opfer eines tödlichen Unfalls mit Fahrerflucht, der, so wurde häufig spekuliert, mit seinem politischen Engagement zusammenhing.
Das Klavierkonzert Songs of Insurrection von Frederic Rzewski besteht aus sieben Sätzen und basiert auf internationalen Revolutionsliedern aus dem 19. und 20. Jahrhundert, u. a. auf den von Gefangenen des Börgermoor Konzentrationslagers komponierten Moorsoldaten, auf einer Neuinterpretation der Hymne der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung Ain’t Gonna Let Nobody Turn Me Around und auf Oh Bird, Oh Bird, Oh Roller, dem berühmtesten Protestsong des Donghak-Aufstands von 1894 in Korea. Diese politisch orientierten Kompositionen zusammen mit Rzewskis häufig blitzschnellen Performances schicken die Zuhörer_innen auf eine Reise durch die Geschichte von Aufständen und Rebellionen.
Cornelius Cardew wurde 1936 im englischen Winchcombe geboren und starb 1981. Schon in frühester Jugend war er ein begnadeter Klavierspieler und Improvisator. Nachdem er 1958 einer Reihe von Performances von John Cage und David Tudor beigewohnt hatte, begann Cardew, seine eigenen experimentellen Kompositionen zu entwickeln und profilierte sich in den 1960er und 1970er Jahren als einer der wichtigsten britischen Avantgarde-Komponisten und als Gründungsmitglied so einflussreicher Gruppen wie AMM und The Scratch Orchestra. Gegen Ende der 1970er Jahre distanzierte sich Cardew von experimentellen Kompositionen und ersetzte sie durch Arbeiten, die seine politischen Überzeugungen zum Ausdruck brachten. Cardews Arbeit Treatise, eine komplizierte, grafische Partitur ohne Regelsysteme, die die Interpretation beeinflussen, ist in der documenta Halle und der Neuen Galerie ausgestellt.
Frederic Rzewski wurde 1938 in Westfield, Massachusetts, geboren. Als anerkannter Komponist und Pianist, gehörte er einer experimentellen Avantgarde-Musikszene der Nachkriegszeit an und wurde sowohl wegen seiner innovativen Arbeiten, wie auch wegen seiner fundierten politischen Überzeugungen geschätzt. Die Stücke Rzewskis, Gründungsmitglied des bahnbrechenden Improvisationskollektivs Musica Elettronica Viva (MEV) in Rom, überbrücken häufig den Abstand zwischen klassischer Musik und Avantgarde-Jazz.
Cornelius Cardew: Thälmann Variations und We Sing For The Future!
Frederic Rzewski: Songs of Insurrection
Gespielt von Frederic Rzewski, Klavier
Eintritt: 15 € / 10 € ermäßigt. Tickets sind beim Staatstheater Kassel und in den documenta 14 Ticket Shops erhältlich.