Als ich 1959 zum ersten Mal die Akropolis besichtigte, fand ich mich beinahe zufällig in der angrenzenden Landschaft des Philopappou Hügels wieder. Dort fühlte ich zu meiner Überraschung nahezu wortwörtlich die Erde beben, während ich mich über die taktile Begegnung mit dem Pflaster und durch die ondulierten Pfade des dortigen Labyrinths navigierte. Es handelte sich um einen Ort, der ebenso mit dem Körper wie mit den Augen zu erleben war. Ebenso überraschend waren die steingepflasterten Terrassen und Bänke und insbesondere das holzgerahmte Temenos und das Teehäuschen, das neben der restaurierten Loumbardiaris Kirche stand. Beides schien aus einem Japan der Vorzeit gezeichnet und durch das kulturelle Sieb von Byzanz zu uns gelangt zu sein. Damals war mir nicht bewusst, dass diese Bühne noch nicht ganz fertig gestellt war und dass ein 27-jähriger Architekt die Arbeit beaufsichtigte.
Die vergangenen fünfzig Jahre haben unsere Sicht auf die Architektur verändert. Heute sehen wir das zwanzigste Jahrhundert wesentlich vielschichtiger und sind dementsprechend gezwungen, neu zu bewerten, was die Moderne geleistet und was sie angerichtet hat und wo wir heute im Verhältnis zu ihren mannigfachen Strängen stehen. Dabei treten Figuren in den Hintergrund, die zuvor als prominent galten, während andere, ehemals unbedeutende Akteure nun ins Rampenlicht treten. Pikionis ist einer dieser jüngst zu Berühmtheit gelangten, dessen Werk uns in eine strahlende Welt entführt, wo die „Dinghaftigkeit“ der Dinge, um mit Heidegger zu sprechen, zu ihrem Recht kommt. Pikionis’ ontische Initiation datiert aus seinen zahlreichen Besuchen im Haus Rhodakis auf der Insel Ägina während der 1920er Jahre – ein mittlerweile seit Langem verfallenes Steinhaus mit naiven symbolischen Verzierungen und kryptischen Inschriften, wie dem legendären „Ah Vah“, das, wie man erzählt, ein roher Ausdruck von Ekstase ist.
Blicken wir auf seine gesamte Karriere zurück, so lässt sich diese als ein Oszillieren betrachten, das zuerst als moderne Interpretation der griechischen Neoklassik auftrat, wie etwa an seinem Haus Karamanos von 1925 abzulesen ist, und das später mit seiner Lycabettus-Schule von 1933 zu einer Apotheose der Moderne wurde. Danach brach Pikionis mit der Moderne und lieferte eine Neuinterpretation der vernakulären mazedonischen Architektur. Ein Beispiel hierfür bietet sein 1955 fertiggestelltes Haus Potamianos in Philothei. Dieser Bruch wurde zu einem Wendepunkt, als der Architekt zu einer entmaterialisierten Bauweise fand, die zugleich griechisch und anti-griechisch war: griechisch in dem Sinn, dass sie in ein unverkennbar griechisches Amalgam aus Landschaft, Klima und Licht integriert war, und anti-griechisch in dem Sinn, dass ihre Inspiration anderenorts zu finden war, nämlich in den von einer zeitlosen Sonne beschienenen, weit entfernten Inseln von Honshu oder der vorzeitlich archaischen, prähellenischen Ägäis. Diese metaphysische und doch populäre Syntax trat erstmals in seinen Plänen für die nicht realisierte Siedlung Aixoni, nahe Glyfada, in den frühen 1950er Jahren in Erscheinung. Die Bauweise erinnert überraschend stark and die „Flechtwerk“-Kultur des griechischen Nomadenstamms der Sarakatsanen und erlangte ihre deutlichste Ausformulierung im Haus Arestedis Pourris, das 1953 in Maroussi erbaut wurde. Seine Enkelin Alexandra Papageorgiou schrieb hinsichtlich dieser rätselhaft autochthonen Formen:
Er war strikt gegen die Verwendung von westlichen Formen, die eher für Wissenschaft und Technik stehen, und hatte mehr für östliche Formen übrig, die enger an das Ideal einer spirituellen Welt orientiert sind. Er bewunderte Maßstab, Form und Materialien in der japanischen Architektur, wie etwa die Verwendung von Bambus. Er setzte ähnliche Bautechniken ein, wenn er beispielsweise das Erdgeschoss des Loumbardiaris-Pavillon anhob und Steinbasen für dessen Säulenbasen verwendete ...1
Pikionis gehörte derselben Generation wie Le Corbusier und Mies van der Rohe an und war einer der ersten Architekten, die sich darüber klar wurden, dass eine regional geprägte Kultur in einem post-vernakulären Zeitalter nur dann aufrechterhalten werden kann, wenn man Kulturen mischt, die zwar einander fremd, aber sich doch wohlgesinnt sind, wie etwa die archaische griechische Bildhaukunst von der ägyptischen befruchtet worden war. So weist die Pflasterung des Philopappou eine geradezu unheimliche Beziehung zu den Steindämmen der Zen-Tempel auf, wenn die übergreifenden Muster sich über der Wölbung brechen, sodass alle perspektivische Erwartung von Bewegung versagt bleibt und so eine scheinbar unendliche Abfolge von Nähten und Wasserrinnen in Verbindung mit alternierend versetzten Mauerwerkstrukturen hervorgerufen wird.
Es ist sein ökologisch motiviertes Beharren auf der wechselseitigen Abhängigkeit von Kultur und Natur, die Pikionis’ Werk eine entscheidende Bedeutung verleiht, die heute so relevant ist wie vor fünfzig Jahren. Denn sie verwirft unsere gewohnte Fixierung auf das freistehende technische und/oder ästhetische Objekt vollständig, ganz zu Schweigen von unserer destruktiven, prometheischen Haltung gegenüber der Natur. Zwar baute Pikionis vergleichsweise wenig zu Lebzeiten – ungefähr sechs Häuser, eine Schule, ein Theater, ein Park, ein Spielplatz und ein Apartmenthaus –, so strebte er dennoch nach einer ontologischen Architektur, in der Subjekt und Gesellschaft sich wechselseitig berücksichtigt sehen konnten. Wie Constantin Brâncuși, Luis Barragán und Carlo Scarpa arbeitete Pikionis ausnahmslos in eng umgrenzten Bereichen, wie etwa der traumartige Spielplatz, den er 1965 im Athener Vorort Philothei baute. Dicht an dem „Noch-Nicht“ Ernst Blochs war Pikionis’ Architektur eine Architektur der Hoffnung. Zwar war er sich der Härte nur allzu bewusst, die sein geliebtes Griechenland umfing, doch hielt er die Vision eines mediterranen „Anderen“ aufrecht, einen Baudelaireschen Sinn von „luxe, calme et volupté“, die im Licht funkeln – nach dem Untergang aller Technik.
—Kenneth Frampton
Eine Version des vorliegenden Texts erschien erstmals in Dimitris Pikionis, Architect 1887–1968: A Sentimental Topography, London: Architectural Association, 1989.