Eva Stefani

Eva Stefani, Acropolis (2001/04), Video, Farbe, Ton, 26 min

Eva Stefani, Manuscript, 2017, digitales Video, Installationsansicht, Athener Konservatorium (Odeion), documenta 14, Foto: Mathias Völzke

Eva Stefani, Acropolis, 2002/04, Super-8 und 16-mm-Film, Installationsansicht, Palais Bellevue, Kassel, documenta 14, Foto: Daniel Wimmer

In „Wovon die Menschen leben“ (1885) wirft der durchdringende menschliche Blick Leo Tolstois drei Fragen auf: Was steckt in den Menschen, was wird den Menschen nicht gewährt, und was hält die Menschen am Leben? Die Kurzgeschichte ist einer der Lieblingstexte von Eva Stefani; mit ihrem Titel ließen sich all ihre Arbeiten überschreiben.

Stefani wurde 1964 in Alexandria, Virginia, in den USA geboren. Ihre Filme und Schriften sind theoretisch grundiert, bewahren sich jedoch eine poetische Eigenständigkeit. Stefani dreht beobachtende Dokumentar- und Experimentalfilme, die zwar im Bereich der Realität beginnen und enden, doch nur eine verzerrte Darstellung dieser Realität zeigen. Sie wirft einen verfremdeten Blick auf die Dinge, auf Menschen, auf das Alltagsleben und deckt die paradoxen Seiten von Geschichten „an den Rändern der Realität“ – wie sie sagt – auf. Obwohl sie im Genre des beobachtenden Kinos arbeitet und seinen grundlegenden Methoden folgt, nähert sie sich ihm auf ihre eigene, engagierte Weise, indem sie Position bezieht. Als beteiligte Beobachterin knüpft sie Beziehungen zu den Menschen, die schließlich in ihren Filmen erscheinen; ihre Dreharbeiten können Tage, Monate oder Jahre dauern.

Ob sie nun das Nachtleben am Athener Hauptbahnhof und seinen Stammgästen in den Blick nimmt (Athene, 1995) oder einzelnen Charakteren folgt (The Box, 2004; The Return of E. C. Gonatas, 2012): Stefani hebt immer die ungewöhnlichsten Blickwinkel einer Situation hervor und richtet ihr Augenmerk auf die beckettsche Dimension menschlicher Kommunikation. Ähnlich stellen ihre in Beobachtungen wurzelnden Kurzgeschichten (wie etwa „Fin’s Hair“, 2014) die surrealen Aspekte des Realismus heraus. Durch ihre Verfremdung des Selbstverständlichen fordert sie uns auf, einen neuen Blick auf die Realität zu werfen.

Ihr Film Acropolis (2001/04) präsentiert eine subversive, feministische Sicht der berühmten Anlage. Stefani folgt einer Methode, die das genaue Gegenteil der Beobachtung ist, indem sie bestehendes Super-8-Filmmaterial mit Porno- und Archivmaterial zusammenschneidet, den Parthenon mit dem weiblichen Körper gleichsetzt und damit unser herkömmliches Verständnis von Griechentum und Weiblichkeit neu verhandelt. Sowohl Acropolis als auch der bei seiner Premiere in Athen zensierte National Anthem (2007) wollen hegemoniale Ideologien und Konzepte, die sich nationaler Symbole bedienen, infrage stellen.

Wovon leben die Menschen? Genauso muss man fragen: Wovon leben die Denkmäler? Diese für Stefani zentrale Frage lässt sie unermüdlich weiter nach der Wahrheit jenseits des Offenkundigen suchen und verleiht ihren experimentellen Arbeiten etwas Klassisches.

— Katerina Tselou

Gepostet in Öffentliche Ausstellung
Auszug aus dem documenta 14: Daybook
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