Lala Meredith-Vula

Lala Meredith-Vula, Haystacks in Llazareve, Kosova (1989), aus der Serie „Haystacks“ (1989–), Schwarz-Weiß-Fotografie

Lala Meredith-Vula, aus der Serie „Blood Memory“, 1990, Inkjet-Prints auf Latextapete aus gescannten Silbergelatine-Negativen, Installationsansicht, EMST – Nationales Museum für Zeitgenössische Kunst, Athen, documenta 14, Foto: Mathias Völzke

Lala Meredith-Vula, 40 Arbeiten aus der Serie „Haystack“, 1989–2016, Giclée-Drucke von 35-mm-Negativen, Installationsansicht, Palais Bellevue, Kassel, documenta 14, Foto: Daniel Wimmer

Im August 1988 – vier Tage, nachdem sie gemeinsam mit anderen Studierenden des Goldsmiths College of Art die bahnbrechende Kunstausstellung Freeze organisiert hatte – machte sich Lala Meredith-Vula von London in das albanische Hinterland auf. Dort begann sie mit dem Fotografieren von Heuhaufen. Auf die Frage, warum ihre Wahl auf Heuhaufen gefallen war, antwortete sie, diese bäuerlichen Formen stellten für sie die „Quintessenz des Kunstwerks“ dar. Und sollte sie sich darüber hinaus ihrer alten Heimat wieder annähern wollen – Meredith-Vula wurde 1966 in Sarajevo, –Jugoslawien, geboren –, dann bedurfte ein derart abstrakter Wunsch ohnehin einer Erdung.

Nahezu drei Jahrzehnte und Hunderte Fotografien später läuft das Projekt immer noch. Nach wie vor errichten die Bauern aus Orten wie Pejë, Carralevë und Duhël ihre Heuhaufen, wenn auch nicht mehr so häufig wie einst. Und nach wie vor bildet die Künstlerin ihre unverdrossene Existenz und ihre – man kann es nicht treffender sagen – spezifischen Persönlichkeiten ab. Meredith-Vulas Motive sind weitaus vielfältiger als die regelmäßigen, pittoresken Heuhaufen, die von Malern wie Jean-François Millet oder Claude Monet im 19. Jahrhundert dargestellt wurden. Die Fotografie macht sie zu Individuen, zu zeitgemäßen Subjekten, die es wert sind, dokumentiert zu werden.

Diese unruhige Weltgegend hat viel erlebt, seit Meredith-Vula hier ihre ersten Aufnahmen machte. Die Republik Kosovo hat ihre Unabhängigkeit von Serbien erklärt, das seinerseits noch zu Jugoslawien gehörte, als die Bilderserie ihren Anfang nahm. Auch wenn Heuhaufen fotografiert werden können – wie du und ich – und dabei eine fast animistische Anmutung bekommen, so kennen sie doch weder Reisepässe noch nationale Loyalitäten. Ihre Formen beruhen auf landwirtschaftlichen Gepflogenheiten, die älter sind als alle Nationen. Die Bedürfnisse von Tieren und die poetische Freiheit der Bauern spielen dabei eine Rolle. Dennoch, selbst wenn Heuhaufen nicht zur Polis gehören, selbst wenn sie nicht per se politische Subjekte sind, sind sie doch schweigende Zeugen der Geschichte. Und sie haben die Fotografin in ihrer Arbeit zweifellos näher an historische Ereignisse herangeführt.

Meredith-Vulas eigene Rolle als Zeugin wandelte sich, als sie 1990 von Plänen erfuhr, die Blutfehden in der Region zu beenden, in der sie gerade Heuhaufen fotografierte. Sie ließ vorübergehend vom Zauber dieser ländlichen Skulpturen ab und richtete ihre Linse stattdessen auf die Menschen, die sich auf Geheiß des albanischen Volkskundlers und Gelehrten Anton Çetta zu Hunderten versammelt hatten, um die sich seit Jahrhunderten verübten und die Gemeinschaft lähmenden Sühnemorde feierlich zu beenden. Meredith-Vula – der albanischen Sprache mächtig, aber selbst nicht in die Konflikte verstrickt – kam näher an die Situation heran als die Journalist_innen aus dem Ausland. Einige von den Bauern aufgenommene Fotos zeigen die Künstlerin auf deren Pferden – sie reitet durch die Landschaft, in der sie zuvor selbst fotografiert hatte.

— Monika Szewczyk

Gepostet in Öffentliche Ausstellung
Auszug aus dem documenta 14: Daybook
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