Dénouement. Wenn der Aufstand der Bergarbeiter in Émile Zolas Germinal im schicksalhaften Moment des Dénouement gipfelt, löst sich die Handlung des Romans in einer kathartischen Wende auf. Der Protagonist Étienne Lantier – von Zola als 21-jähriger, „sehr brauner“ Streikführer beschrieben –, erwägt die unvermeidlichen dramatischen Folgen seines jugendlichen Bestrebens, seine nur bruchstückhaften, autodidaktischen Kenntnisse revolutionärer Traktate mittels Konfrontation in die Tat umzusetzen. Der Stolz über seine wachsende Fähigkeit, sich ein völlig andersartiges gesellschaftliches Modell vorstellen zu können, verwandelt sich in Reue über seine Naivität. Eine Naivität, die aus seiner anfänglichen Unwissenheit resultiert und deren alleinige Ursache in der fehlenden intellektuellen und moralischen Bildung zu suchen ist, die seiner Klasse über Generationen hinweg verwehrt blieb. Auf den letzten Seiten des Buches jedoch, nachdem alle Tränen vergossen sind und Étienne seine innere Ruhe wiedergefunden hat, eröffnen sich Perspektiven eines zukünftigen Auswegs: Eine Vision der Hoffnung kündigt sich an in einer zyklischen Wiederkehr, die dennoch den Keim der Veränderung in sich trägt.
Reflexive Bilder. Im Rahmen seiner Turiner Einzelausstellung Dénouement (Winter 2013/14) stellte Peter Friedl erstmals seine Arbeit The Dramatist (Black Hamlet, Crazy Henry, Giulia, Toussaint) vor, eine Skulpturengruppe bestehend aus vier handgefertigten Marionetten, die alle gleich groß sind und in dieselbe Richtung blicken. Seite an Seite präsentieren sich die vier Figuren, deren Füße den Boden berühren, von Schnüren aufrecht gehalten im Raum hängend, als wären sie für alle Zeiten zu Stein erstarrt. Es handelt sich um Darstellungen von Personen aus verschiedenen Zeitperioden, die in unterschiedlichem Ausmaß die neuere Geschichte beeinflusst haben. Als Antimahnmal erinnert das Ensemble nicht nur daran, was einmal Geschichte war, sondern ebenso sehr an Entwürfe, die wieder aktuell werden – reflexive Bilder einer nicht realisierten oder potenziell noch zu realisierenden Wirklichkeit.
Radikale Neutralität. Julen Madariaga, Anne Bonny, Tendai Pfepferere … Das sind nur einige von Friedls stummen Fallbeispielen. Einzig in seinen Tagebüchern, die bislang erst in spärlichen Auszügen publiziert wurden, gibt der 1960 in Österreich geborene und in Berlin lebende Künstler seine Beobachtungen und Zweifel, seinen Widerwillen und seine Verzweiflung preis. Was wäre, wenn der „schwarze Mann“ nicht zu spät am Ort des Geschehens auftaucht, sondern früher als erwartet? Was, wenn die Zeit der Frau jetzt ist oder in der (unmittelbaren) Zukunft? Könnte eine untheatralische Inszenierung mit mehrsprachigen Nichtdarsteller_innen, die aus dem Gedächtnis einen streitbaren Text von Franz Kafka jeweils in ihrer Muttersprache vortragen, davon „berichten“? Kann Friedls radikal neutrale Herangehensweise an Artikulations- und Ausdrucksformen dazu beitragen, dass wir Ansätze einer kommenden Gemeinschaft, einen neuen sensus communis entdecken?
— Hilde Van Gelder