Ich begegnete Tracey Rose erstmals vor elf Jahren, als ich die Verbindung zwischen Heilen und Kunst in den Arbeiten moderner afrikanischer Künstler_innen recherchierte. In Roses Werk klangen schamanistische und alchemistische Aspekte an, das Aufdecken von Wunden und Neuordnen von Welten. Von Anfang an liebte ich sie und ihre Arbeit in allen Facetten: ihre mädchenhafte Schalkhaftigkeit, Freude und Begeisterung; die grenzenlose Sinnlichkeit und Weisheit der Frau; die ungeheure Weite ihres Geistes, die sie irgendwo zwischen dieser und einer anderen Welt verortet, als unermüdliche Vermittlerin ferner Wahrheiten, manche davon sanft, andere brachialer, aufrüttelnder. Ausgangspunkt der 1974 in Durban geborenen Künstlerin scheint ihre eigene unverhüllte Subjektivität und deren Dekonstruktion zu sein. Dies zeigt sich in TKO (Technical Knockout) (2000), einer frühen Videoarbeit, in der Rose unablässig auf einen Sandsack einschlägt, auf dem auch das Aufnahmegerät angebracht ist. Kameraauge oder Ich, Spiegel und Beobachter_in zugleich, ein Kampf gegen das konstruierte Selbst, um freizulegen, was sich darunter befindet.
Diese Akte des Enthüllens, durch Prozesse des Abstreifens ebenso wie durch das Aufbringen neuer Schichten oder gar mittels karnevalesker Übertreibungen, erstrecken sich über das Individuum hinaus zu einem kollektiven, nicht selten weiblichen Selbst. In dem Tableau Ciao Bella (2001) stellt Rose unterschiedliche Karikaturen der Schönheit dar, vom Pornostar Cicciolina bis zur European Queen, und spielt dabei mit Masken und Maskeraden, die durch das groteske Überspitzen von Konturen, Farben und Symbolen eine meist verborgene Essenz bloßlegen. Zentrale Schöpfungsmythologien werden auf den Kopf gestellt, ihr Innerstes nach außen gekehrt, um bestehende Wirklichkeiten neu zu ordnen. Ein Beispiel hierfür ist die Umkehrung biblischer Narrative in der Fotoserie „Lucie’s Fur“ (2003/04), in der Adam und Eva zu Adam und Yves werden und Jesus sich in eine lesbische südafrikanische Frau verwandelt. Auch in The Black Paintings: Dead White Man (2012) holt die Künstlerin jene in die Gegenwart, die auf der falschen Seite der Geschichte standen, und zollt ihnen Anerkennung. Wenn sie Plakaten mit den Namen von Salvador Allende, Steve Biko, Martin Luther King, Patrice Lumumba und anderen immer wieder das Mantra „white“ (weiß) entgegenschreit, beraubt sie das vermeintlich harmlose Wort seiner heimtückischen Neutralität und entlarvt seine Macht zu herrschen, zu unterdrücken und zu verletzen. Tracey Rose spielt mit Ritualen des Enthüllens und des Neuordnens: Sie deckt Geschichten von Gewalt auf und vermisst sie neu – die oft unerwähnte Rolle der Frauen in diesen Geschichten, die (Un-)Begrenztheit der Sprache und des Erzählten – und kittet auf diese Weise so manche Bruchlinie des Selbst.
— Nana Oforiatta Ayim