Es war während einer meiner ersten Besuche in seinem Zuhause in Kalkutta, als mich Ganesh Haloi bat, mich zu setzen. Nachdem er mich mit bengalischen Süßigkeiten versorgt hatte, erklärte er mir, wie man elementare Formen in unserer organischen Welt liest. Dass Linien, Kreise und Dreiecke zwar natürliche geometrische Formen, aber dennoch in den komplexen geografischen Konturen der Welt verfangen sind. In seinen Zeichnungen und Gemälden auf handgeschöpftem Papier werden diese Figuren dann, wenn sie erst ihren Platz auf der Seite gefunden haben, dechiffriert. Ähnlich sind auch Halois Arbeiten Übungen in der Kunst, mittels unterschiedlichster symbolischer Formen Leben in das Genre der Landschaftsmalerei zu bringen. Sein Werk unterscheidet ebenso wenig zwischen innerer und äußerer Natur wie sein Denken.
1957, kurz nach Abschluss seiner künstlerischen Ausbildung in Kalkutta, trat Haloi in das Archaeological Survey of India als Senior Artist ein. Sechs Jahre lang untersuchte er akribisch die Malereien in den Höhlen und Klöstern von Ajanta, einer alten buddhistischen Stätte, die seit Jahrhunderten als Inspirationsquelle für Künstler_innen dient. Er initiierte eine erste vergleichende Untersuchung zur religiösen Ikonografie der Wandmalereien in den Höhlen und lernte zu verstehen, wie Licht und natürliche Pigmente dazu beitragen, Figuren als Schattenspiel zu inszenieren. Ergänzt wurden diese Studien durch anthropologische Skizzen zu den in der Region lebenden Gemeinschaften.
Halois künstlerische Ansichten sind, ebenso wie das von ihm entwickelte konzeptuelle Vokabular, stark von der buddhistischen Philosophie beeinflusst. Bezogen auf das Phänomen der Wahrheit zitiert der Künstler einen heiligen Text: „Doch im Wechsel der Dinge liegt ein Gesetz, und wer das Gesetz erkennt, erkennt die Wahrheit.“ Aber auch die politischen Geschehnisse seiner Zeit haben das Werk des Künstlers nachhaltig geprägt. Haloi wurde 1936 in einem Randbezirk Ostbengalens geboren, der heute zu Bangladesch gehört. Seine Ästhetik nährt sich aus Erinnerungen an Ereignisse wie die Hungersnot in Bengalen, die Stadt-Land-Migration und die 1947 beginnende, einem Genozid gleichkommende Teilung des indischen Subkontinents.
Im Laufe der Zeit hat Ganesh Haloi ein erdgetöntes, abstraktes Vokabular entwickelt, das sich aus einer umfangreichen Palette an Ikonografien, Ideen und Bewegungen speist: von der Architektur sakraler Stätten über die Tradition indischer Miniaturmalerei und die heilige Stadt Varanasi bis hin zu geografischen Eigenheiten des Geländes (agrarische Topografie, Flora, Schichtung von Felsen). In seinen Gemälden ist er, ebenso wie der Betrachter, ein Reisender und Wanderer – in einer seltsam ungebundenen Zeit tauchen wir ein in die Weiten der Landschaft, in schwebende Geometrien und verführerische Linien.
— Natasha Ginwala