In seinen Reisebeschreibungen aus dem 13. Jahrhundert vergleicht Marco Polo die „Provinz der Finsternis“, die von der damals bekannten Welt am weitesten entfernte Region, mit fehlenden Sternen. Die Sternenbeobachtung, Thema vieler Reiseberichte, erlaubt es uns, über die Grenzen von Wahrnehmung und Erkenntnis zu reflektieren. In ihrer Allgegenwart verbindet sie uns aber auch mit etwas zutiefst Vertrautem. Wo auch immer wir sind, die Weiten des Sternenhimmels begleiten uns.
Die Widersprüche des himmelwärts gerichteten Blicks finden sich auch in den Arbeiten von Vija Celmins. Im Werk der 1938 in Riga geborenen Künstlerin geht es nicht einfach um das Sehen des Nachthimmels, auch wenn sie diesen seit den späten 1960er Jahren, seit ihrer Zeit in Südkalifornien, immer wieder minutiös gemalt hat – neben anderen vielfältigen Texturen und Strukturen der Natur, wie dem rauen Boden der Wüste, der federleichten Oberfläche des windstillen Ozeans, der porösen, kreideartigen Schale einer Muschel. In Celmins’ Darstellungen der Natur geht es vielmehr um das Bemühen, das gemalte Bild als solches zu sehen, als etwas Gestaltetes, als etwas, das sich in der Welt befindet. Das ständige Kreisen um dieselben Bilder, viele basierend auf Zeitschriftenfotografien, das beharrliche Wiederholen dieser Motive seit mehr als fünfzig Jahren unterstreicht diese Haltung noch.
Celmins’ Bilder stoßen keine Tür zu einer anderen Welt auf, auch wenn ich immer noch versucht bin, mich in ihre Arbeiten fallen zu lassen. Sie schubst mich hinaus, wenn ich zu tief sinke, wenn meine Ideen zur Betrachtung eines Bildes mit der enormen Dichte ihrer Arbeit kollidieren. Unbeeindruckt von Gefühlsprojektionen gilt Celmins’ Interesse formalen Aspekten, denen sie mit durch und durch physischen Mitteln Ausdruck verleiht. Denken wir nur an die geheimnisvolle Sprache ihrer Pinselführung, an die unerschütterliche Präzision ihrer Grafitlinien, an die Spur ihrer dünnen Nadel auf der Ätzplatte und an den konzentrierten, verdichteten Maßstab ihrer Arbeiten, der zum näheren Hinschauen einlädt. Diese Attribute, so die Künstlerin, seien wie ein kleiner, schwerer Fels. Sie verwandeln ihre Bilder in ein Ding, an der Wand, im Raum. Ich kann es spüren, in diesem Moment.
Zwar arbeitet die Künstlerin mit flächendeckenden, potenziell grenzenlosen Bildern, doch das Unendliche wird durch die gleichmäßige Komposition des Gemäldes in seiner harten, unbewegten Oberfläche gebändigt. Es entfaltet sich nach innen. Sentimentale Bindungen und Erinnerungen an Orte und Augenblicke, wie der Blick nach oben in die Weiten des Nachthimmels, die Suche nach ihrem vermeintlichen Wissen, fehlen. Wie eine Reise sind sie vergänglich. Celmins’ Werk, in seiner unerbittlichen Präsenz, ist es nicht.
— Michelle White