Douglas Gordons Installation I had nowhere to go (2016) besteht aus einem 97-minütigen Film beziehungsweise einer Bildprojektion, in der via Voiceover die Stimme des experimentellen Filmemachers Jonas Mekas zu hören ist, der Ausschnitte aus seiner 1991 erschienenen gleichnamigen Autobiografie vorliest. Das Bild des Künstlers taucht dabei nur sporadisch aus der leeren Düsternis des schwarzen Bildschirms auf. Diese Arbeit zeigt nahezu nichts und hebt Gordons bisherige Interventionen in die Geschichte und Materialität der Filmkunst dennoch auf eine neue Stufe.
Gordon, 1966 in Glasgow geboren und heute in Glasgow und Berlin lebend, ist bekannt dafür, Erwartungen an das bewegte Bild ebenso einer Neudefinition zu unterziehen wie die Beziehung zwischen Ton, Text, Bild und Porträt. Man denke etwa an die Videoinstallation 24 Hour Psycho (1993), in der Hitchcocks Psycho (1960) durch die Projektion von zwei statt 24 Einzelbildern pro Sekunde von 109 Minuten auf 24 Stunden ausgedehnt wird. Die Geschichte von Jonas Mekas wiederum, Gründer des Anthology Film Archives in New York und zentrale Figur des Avantgarde-Kinos, erlaubt es dem Künstler, über die Entwicklung dieser Kunstform nachzudenken und ihre Gesetze durch eigene ästhetische Entscheidungen zu überformen – indem er sich einem linearen Narrativ ebenso verweigert wie einer konsequenten Ton-Bild-Entsprechung, die das Dunkel zwischen zwei Einzelbildern negiert. Dementsprechend ist I had nowhere to go auch als Auseinandersetzung mit der historischen Position von Gordons eigenem Œuvre zu verstehen.
In historischer Hinsicht beschreiben die im Film vorgelesenen, tagebuchartigen Passagen Mekas’ Leben als Teenager im besetzten Litauen des Zweiten Weltkriegs. Der Fokus auf die von einer körperlosen Stimme vorgetragenen Kriegserinnerungen ermöglicht es Gordon, über die Darstellbarkeit oder Nichtdarstellbarkeit derartiger Katastrophen zu reflektieren. Damit klinkt er sich aber auch in eine filmkünstlerische Auseinandersetzung ein, die auf Claude Lanzmanns Film Shoah (1985) zurückgeht, der gesprochene Zeugenaussagen den Archivbildern des Zweiten Weltkriegs vorzog. Tatsächlich wird das mündliche Zeugnis bei Gordon definitiv zum Nichtbild; die wenigen visuellen Sequenzen seiner Arbeit hingegen verweigern sich einer Unterscheidung zwischen Information und Ästhetik.
In Anlehnung an Gordons (und Philippe Parrenos) Zidane: A 21st Century Portrait (2006) führt I had nowhere to go auch die innovative und in gewisser Hinsicht ikonoklastische Arbeit des Künstlers als Porträtist fort. Während Zidane jedoch auf eine Dekonstruktion der Persona mittels Hypervisualisierung setzt, erzielt Gordons aktuelles Filmporträt denselben Effekt durch das genaue Gegenteil. Dieses fehlende Sichtbarwerden verdunkelt jedoch nicht nur den Bildschirm. Es hinterfragt auch die Selbst- und Integritätsvorstellungen der Betrachter_innen und bringt den Unterschied zwischen Geschichte und Phänomenologie, Selbstsein und Anderssein zum Verschwinden.
— Ory Dessau