David Harding

David Harding, Portrait of Samuel Beckett (From a Photograph by Jane Bown) (2016), Grafit auf Papier, 30 × 21 cm

David Harding, “If you do not love me . . .” from Samuel Beckett’s Poem “Cascando”, 2017, Betonplatten und Bronzebuchstaben, Installationsansicht, Rizaris-Park, Athen, documenta 14, Foto: Yiannis Hadjiaslanis

David Harding, Desire Lines, 2017, Betonplatten und Buchstaben aus Zinnbronze, Kunsthochschule Kassel, Kassel, documenta 14, Foto: Mathias Völzke

Als Douglas Gordon gefragt wurde, was er als Student des Environmental Art Programme gelernt habe – jenes richtungsweisenden Instituts der Glasgow School of Art, das David Harding 1985 ins Leben rief –, antwortete er: „Singen. Nicht wie man singt, einfach nur Singen.“ Zusammen mit der internationalen Reputation der Absolvent_innen lässt diese rätselhafte Beschreibung des Institutsethos vermuten, dass das Environmental Art Programme weniger ein Studiengang als eine Hochschule in der Hochschule war. Harding, 1937 in Edinburgh geboren und ein engagierter Künstler und Lehrer, personifizierte vielleicht Wassily Kandinskys Vorstellung vom Künstler, „der in einer zweckberaubten Kunst den Zweck seines Lebens nicht sieht“. Doch während Kandinskys Motivation in der spirituellen Wirkung von Farbe lag, ging es Harding um das materielle Umfeld. Seine Arbeiten zeichnen sich nicht durch abstrakte Impressionen und Improvisationen in bildlicher Form aus, sondern durch direkte Interventionen in die konkrete gebaute Umwelt.

Hardings Blick auf die Kunst und die Art, wie sie zu lehren sei, war durch sein Engagement für soziale Gerechtigkeit und seine Verbindungen zur Artist Placement Group geprägt, die 1966 von Barbara Steveni gemeinsam mit John Latham gegründet wurde. Das Mantra der Gruppe – „The context is half the work“ (Der Kontext ist die halbe Arbeit) – sollte später zum Auftrag für die Studierenden des Environmental Art Programme werden. Ehe er den Lehrgang in Glasgow gründete, verbrachte Harding vier Jahre an einem College im zentralnigerianischen Lafia, wo er mit seinen Student_innen an der Entwicklung einer lokalen Kunstpraxis arbeitete. 1968 trat er eine Stelle als „Town Artist“ in der schottischen Planstadt Glenrothes an. Wenn es um die Beschreibung von Kunstschaffen im Kontext einer Planstadt geht sowie um die Produktion von Kunstwerken unter Befragung und Mitarbeit der Bewohner_innen – eine Praxis, die zur Entwicklung der „New Genre Public Art“ (Kunst im öffentlichen Interesse) beitrug –, dann taucht das Wort „orchestrieren“ auf. Orchestrieren ist mehr als bloßes Arrangieren oder Gestalten. Es bedeutet zuzuhören, offen für andere zu sein, die potenzielle (Dis-)Harmonie kultureller Unterschiede zu feiern. Dieser Begriff aus der Musik erinnert an die Bedeutung des Singens für Harding, an jenes Leitmotiv, das sich durch die sozialen, politischen und pädagogischen Dimensionen seines Wirkens zieht. Auf ihrer vitalsten Ebene zeugt die singende Stimme von der Unverwüstlichkeit des menschlichen Herzens und Geistes. Und Singen klingt überall an in David Hardings Haltung zu Kunst, Lehre und Leben. Wie schon Rainer Maria Rilke in seinen Sonetten an Orpheus formulierte: „Gesang ist Dasein.“

— Ross Birrell

Gepostet in Öffentliche Ausstellung
Auszug aus dem documenta 14: Daybook
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