Wenn Arin Rungjang über Geschichte spricht, dann in Worten, die mit Gerüchten, mit Hörensagen zu tun haben: Geschichte ist weder Tatsache, noch ist sie unumstritten. Rungjang, 1975 in Bangkok geboren, verortet die Wurzel von Zwietracht und Streit in der Art, wie die politische Geschichte im Thailand von heute dargestellt wird – sowohl in Bezug auf das Verhältnis des Nationalstaats zum Kolonialismus als auch in der Art und Weise, wie unter-schiedliche Diktaturen die führenden Ideologien des 20. Jahrhunderts instrumentalisierten, um ihren Fortbestand zu sichern.
Sein Projekt mit dem Titel 246247596248914102516 … And then there were none ist mit zwei geschichtlich bedeutsamen Stätten verknüpft: mit dem Denkmal der Demokratie in Bangkok und der Nationalen Technischen Universität Athen. Das Bangkoker Demokratiedenkmal hat eine Doppelfunktion: Es würdigt den Sieg der demokratischen Revolution von 1932 über die absolute Monarchie und ist gleichzeitig – aufgrund seiner Machtverherrlichung – auch zum Ausdruck militärischer Gewaltherrschaft geworden, ein Symbol für Faschismus und bloße Lippenbekenntnisse zur thailändischen Demokratie. Im Volksaufstand vom 14. Oktober 1973 gingen mehr als 400.000 Menschen gegen die Militärjunta auf die Straße und marschierten von der Thammasat-Universität zum Denkmal der Demokratie. Um sich die Zustimmung und Unterstützung der Öffentlichkeit zu sichern, bedienten sich die Studierenden derselben Legitimation für ihre politischen Aktivitäten wie das Militär – Nation, Religion und Monarchie – und setzten diese als Waffe gegen die Junta selbst ein. Der Aufstand signalisierte den Beginn einer von starken Unruhen und Gewalt geprägten Epoche; die wachsende Angst der absoluten Monarchie und des Militärs vor dem Kommunismus führte am 6. Oktober 1976 schließlich zum Massaker an der Thammasat-Universität.
In ähnlicher Weise wurde der bereits hochgradig politisierte Raum des Polytechnion Athen zur Wiege des Studentenaufstands vom November 1973, der das Ziel verfolgte, die antikommunistische Junta in Griechenland zu stürzen. Wie Überlebende der Militärherrschaft und Teilnehmende an der gewaltigen, blutigen Demonstration berichteten, waren diese Proteste vom Aufstand an der Thammasat-Universität inspiriert, von dem sie aus dem Radio und durch Erzählungen erfahren hatten.
Rungjangs Präsentation für die documenta 14 basiert auf mündlichen Berichten und Archivmaterialien, die die Vielschichtigkeit von ideologischen Konflikten ebenso ausleuchten wie deren subjektive, beliebig formbare Darstellung und Interpretation. 246247596248914102516 ist eine skulpturale Installation und spielt auf die Zahlensymbolik an, der das Demokratiedenkmal einen Gutteil seiner ideologischen Bedeutung verdankt. Der Einkanal-Film And then there were none zeigt die halbfiktive Erzählung von zehn Studierenden, die in den Nachwehen des Aufstands aus Bangkok flohen. Beide Projekte dekonstruieren die Wirkung von Denkmalen, die dem Nationalstaat zugrunde liegenden Narrative sowie letztendlich den Raum, den wir, einer gemeinsamen Übereinkunft folgend, Geschichte nennen.
— Hendrik Folkerts