Marie Cool Fabio Balducci

Marie Cool Fabio Balducci, Untitled (To C. B.) (2016), zwei Blatt Papier in A4-Größe, Öffnung in der Mauer, Sonnenlicht (oben); Untitled (2014/17), Öffnung in der Mauer, Sonnenlicht, Schreibtisch (unten) 

Marie Cool Fabio Balducci, Ohne Titel, EMST – Nationales Museum für Zeitgenössische Kunst, Athen, documenta 14, Foto: Stathis Mamalakis

Marie Cool Fabio Balducci, Ohne Titel, 2003, Klebeband, Wände oder Schreibtischplatten, Installationsansicht, documenta Halle, Kassel, documenta 14, Foto: Mathias Völzke

Die dem modernen Staat eigene Natur mit seinen komplexen und heiklen Funktionen und die Schwere der politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Probleme, die zu lösen er aufgerufen ist, machen ihn zum Maßstab für die Hoffnungen und Ängste der Menschen – was es nur noch schwerer macht, die seiner Verteidigung entgegenstehenden Hindernisse zu überwinden.

Es liegt nicht in der menschlichen Natur, in Freiheit frei zu leben […], sondern frei zu leben, während man eingesperrt ist.
— Curzio Malaparte,
Tecnica del colpo di Stato, 1931

Untitled (2010) von Marie Cool Fabio Balducci besteht aus mehreren runden Spiegeln, die in unterschiedlichen Winkeln angeordnet sind. Je nach den Lichtverhältnissen der Ausstellungssituation – natürliches oder künstliches Licht – werfen sie kreisförmige Lichtmuster in ihre Umgebung und verändern diese dadurch. Die Arbeit greift auch die Eins-zu-eins-Dynamik der Performance auf, in der Eingeweihte die Nicht-eingeweihten unterrichten. In einem ersten Schritt erhält ein eigens dazu eingeladener Akteur ein weißes A4-Blatt Papier. Dann wird der helle Lichtkreis von der Wand „entfernt“ und in der Mitte des Blatts fixiert, sodass er herumgetragen werden kann. Diese Aktion dient dazu, den Mechanismus der Reflexion zu veranschaulichen. In einem zweiten Schritt posiert der Akteur oder die Akteurin vor dem Spiegel, um die Wand zu markieren. Anschließend werden die Handlungen wiederholt. In Interventionen dieser Art spiegelt sich der grundlegende Ansatz des Künstlerduos wider, physische Aktivitäten in der Abwesenheit der Besucher_innen, vor ihrem Eintreffen oder unmittelbar nach ihrem Weggang stattfinden zu lassen.

Marie Cool und Fabio Balducci, 1961 im französischen Valenciennes beziehungsweise 1964 in Ostra in der italienischen Provinz Ancona geboren, leben und arbeiten beide in Paris. Seit 1995 gestalten sie gemeinsam Aktionen rund um alltägliche Objekte und Materialien, die als kritische Beschäftigung mit der und Antwort auf die italienische Arte povera zu sehen sind. Ausgehend von den Arbeitsbedingungen des industriellen oder technischen Zeitalters arbeiten Marie Cool Fabio Balducci mit gewöhnlichen, für Verbraucher_innen leicht verfügbaren Objekten und Stoffen. Die Gesten, die mit einfachen Handlungen und deren Wiederholung verknüpft sind, verleihen ihrer Kunst darüber hinaus eine gewöhnliche, allgegenwärtige Sprache ohne übermäßige Ästhetisierung. Durch die Auseinandersetzung mit Prozessen der Wahrnehmung stellt das Duo normative Verhaltensweisen, Haltungen und Werte – insbesondere das Konzept der Zeitlichkeit – infrage und ermöglicht so eine Überprüfung, Modifikation und Ausweitung der Rahmenbedingungen, die institutionelle Räume kennzeichnen.

— Pierre Bal-Blanc

Gepostet in Öffentliche Ausstellung
Auszug aus dem documenta 14: Daybook
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