Das Parlament der Körper: Wiederaufbau der Idee einer globalen Linken​
mit Naeem Mohaiemen, Vijay Prashad, Zonayed Saki und Samia Zennadi

AUG
1–4
19–22 Uhr
Fridericianum, Friedrichsplatz 18, Kassel
Als Livestream verfügbar
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Dieses Seminar über vier Abende entsprang dem Wunsch, in dem für die documenta 14 konzipierten Film von Naeem Mohaiemen Two Meetings and a Funeral (zu sehen im Landesmuseum) nach Sprachen zu suchen, die in Vergessenheit gerieten, nach Träumen, die platzten und nach Hoffnungen, die unheimlich erschienen. Das Parlament der Körper lädt Naeem Mohaiemen ein, sich mit den drei Protagonisten seines Films über spekulative und praktische Möglichkeiten zu unterhalten, darüber, wie sich – die fatalen Fehler der Vergangenheit stets vor Augen – die Idee von einer globalen Linken wiederbeleben lassen könnte.

1. August

19–20:30 Uhr
Vortrag von Vijay Prashad mit anschließendem Gespräch

20:30–21 Uhr
Filmvorführung: Hiwa K, The Existentialist Scene in Kurdistan [Raw Materiality] (2007–heute); Hiwa K, This Lemon Tastes of Apple (2011)

21–22 Uhr
Gespräch im Anschluss an die Filmvorführung

2. August
19–20:30 Uhr
Vortrag von Samia Zennadi mit anschließendem Gespräch

20:30–21 Uhr
Filmvorführung: Ausschnitt aus Didem Pekün / Barış Doğrusöz, Tülay German: Years of Fire and Cinders, 2010

21–22 Uhr
Gespräch

3. August

19–20:30 Uhr
Vortrag von Zonayed Saki mit anschließendem Gespräch

20:30–21:30 Uhr
Filmvorführung: Ausschnitt aus Fernando Solanas / Octavio Getino, Hour of the Furnaces (1968)

21:30–22 Uhr
Gespräch

4. August

19–20:30 Uhr
Vortrag von Naeem Mohaiemen mit anschließendem Gespräch

20:30–21:30 Uhr
Filmvorführung: belit sağ, Sept. - Oct. 2015, Cizre (2015); Ausschnitt aus Sam Green / Bill Siegel, The Weather Underground (2002)

21:30–22 Uhr
Gespräch

Die Seminare basieren auf der Vorstellung von einer entscheidenden „Wende“ (Ereignis/Ideologie/Leitfigur) in der Weltgeschichte. In Two Meetings and a Funeral stellt Naeem Mohaiemen die These auf, dass die Gipfelkonferenz der Blockfreien Staaten 1973 in Algier eine solcher Wendepunkt gewesen sei. Dieses Treffen, das als Zusammenkunft der „radikalen“ Blockfreien-Bewegung gefeiert wurde, einer Bewegung, die den Freiheitskampf der portugiesischen Kolonien, Südafrikas und Palästinas unterstützte, leitete gleichzeitig eine Wende ein, bei der die Länder innerhalb des „Dritte-Welt-Internationalismus“ (am Schnittpunkt mit dem Sozialismus) als eine Form der Solidarisierung religiöse Allianzen bildeten (in diesem Fall den Islamismus). Während 1973 die Präsenz Lateinamerikas, Afrikas und bestimmter Teile Asiens einen Erfolg auf der ganzen Linie verhinderte, wurde auf der Konferenz der Organisation für Islamische Zusammenarbeit 1974 in Lahore ein kompletter Wandel vollzogen. Die Folgen zeigten sich im Lauf der folgenden beiden Jahrzehnte: mit dem Islamismus und Teilen des Globalen Südens, der die Möglichkeit auslotete, eine auf der Religion basierende Einheit zu erlangen, statt auf den Sozialismus als treibende Kraft zu bauen. War dieser Weg unvermeidbar für den Sozialismus in der muslimischen Dritten Welt, und wenn ja, wie hat er die Entwicklung des Weltsozialismus zwischen 1973 und 1989 verändert?

Auf der Konferenz der Blockfreien Staaten von 1973 in Algier hatte der Vertreter Singapurs Sinnathamby Rajaratnam die Unterzeichnung des SALT I-Vertrags (Gespräche zur Begrenzung strategischer Rüstung) zwischen den beiden Parteien des Kalten Krieges, den USA und der Sowjetunion, folgendermaßen beschrieben: „Es ist eine Unterbrechung zwischen dem alten Kalten Krieg und den neuen Kalten Kriegen, die sich bereits am Horizont abzeichnen.“ Diese Worte erscheinen auch heute noch prophetisch, da sich die Welt in einer endlosen Reihe von Kriegen befindet, im Griff eines militärisch-industriellen Komplexes, der fortwährend sein Feindbild erneuert, sowie in Machtkämpfen zwischen den alten kalten Kriegern und einer Vielzahl neuer Akteure. Angesichts der globalen Krise haben Schriftsteller_innen, Künstler_innen und Akademiker_innen viele der Vorgänger, Waisen und Erben der Ära der Entkolonialisierung erforscht, darunter die Bandung-Staaten, die Bewegung der Blockfreien Staaten, die Befreiungsbewegungen der Dritten Welt und der Weltsozialismus. In gewisser Hinsicht ist dies eine Übung im Erinnern, gegen das Vergessen. Andererseits handelt es sich um die Suche nach Philosophien, die uns über die Gräben dessen hinweg vereinigen können, was Stuart Hall als „das verhängnisvolle Dreieck“ bezeichnet – Rasse, Ethnie und Nationalität – (denen wir als viertes Moment die Überschneidung mit der Religion hinzufügen können).

Wir wollen uns unter anderem mit folgenden Fragen auseinandersetzen:

  • Der von der Dritten Welt, insbesondere von Lateinamerika ausgehende Impuls galt in den 1960er Jahren als das Streichholz, das jederzeit die Zündschnur der großen Weltrevolution in Brand setzen konnte. Lässt sich diese Möglichkeit wiederbeleben, und in welche Richtung müssen wir blicken? In anderen Worten, wo sollen wir nach dem nächsten zündenden Funken suchen?
  • Von der Linken in der Dritten Welt wurde die Rolle der auf religiösen Überzeugungen beruhenden Formen kollektiver Befindlichkeit gelegentlich als Opium fürs Volk abgetan. War das ein geschichtlicher Irrtum oder die einzige ideologisch korrekte Option? Welche Räume wurden dabei nicht abgedeckt, und welche Kräfte stießen in diese Freiräume hinein?
  • Angst, Paranoia und das damit verbundene Sicherheitsstreben werden seit beinahe einem Jahrhundert von rechten, ethnonationalistischen und religiösen Gruppen als Druckmittel eingesetzt. Die Linke, die versuchte, solche Ängste zu zerschlagen, wurde in die Defensive gedrängt. Welche Optionen bleiben der Linken in dieser Krise?
  • Welche Rolle spielt der mit der Geschichte konfrontierte linke Aktivist? Was ist gefragt, Nostalgie oder Genauigkeit? Bringt es überhaupt etwas, in unnachgiebigem Ton über die Vergangenheit zu reden?


Ausstrahlung auf Every Time A Ear di Soun: 22.-24. August 2017, 15:00–16:00 (UTC-4)

Vijay Prashad ist Professor für International Studies am Trinity College. Er ist Autor von über zwanzig Büchern, darunter seine lange Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts The Darker Nations: A People’s History of the Third World und The Poorer Nations: A Possible History of the Global South sowie seine Bücher zur arabischen Politik Arab Spring, Libyan Winter und The Death of the Nation and the Future of the Arab Revolution. Herausgegeben hat er u. a. Will the Flower Slip Through the Asphalt, das Essays zu Fragen des Klimas und des Kapitalismus von Naomi Klein, Rafia Zakaria, Susan Abulhawa und anderen enthält, sowie Red October: The Russian Revolution and the Communist Horizon mit Essays von Prabhat Patnaik, Prakash Karat, Jodi Dean, Shahrzad Mojab, Irfan Habib und anderen. Er ist Reporter für Frontline, The Hindu, BirGün und Alternet. Zudem ist er Chef-Herausgeber von LeftWord Books (New Delhi) und Mitglied der Communist Party of India (Marxist).

Samia Zennadi ist eine linke Ökofeministin aus Algerien und ausgebildete Archäologin. Sie war Mitglied des Organisationskomitees des Internationalen Festivals für Literatur und Jugendbuch (2008–2010). Sie zeichnete verantwortlich für „L’Espace Panaf“ auf der 15. Internationalen Buchmesse von Algier, während deren sie die Literaturzeitschrift L’Afrique parle livres (Afrika spricht Bücher) initiiert hat. Zennadi ist Autorin des Artikels „Camus’s caravan, or domestication by culture“, der die Proteste gegen die angeregte Camus-Karawane nach Algerien dokumentiert, und Koautorin von „Alert to the anticolonialist consciences“. In Algier hat sie den „Esprit Frantz Fanon“ organisiert, ein Residenzprogramm für das Schreiben über die Aktualität von Fanons Gedanken. Im Selbstverlag hat sie ein Buch zur Kunst des Teppichwebens in Algerien herausgegeben. In Zusammenarbeit mit dem Third World Forum und dem World Forum of Alternatives hat Zennadi die Veranstaltung „The South, what alternatives?“ organisiert. Zurzeit plant sie eine Konferenz in Algerien zum Gedenken an das Gipfeltreffen der Blockfreien Staaten von 1973.

Zonayed Saki kam 1990 über die Demokratiebewegung, die das jahrzehntealte Militärregime in Bangladesch stürzte, zur Politik. Er trat der führenden linken Studentenorganisation Bangladesh Chhatra Federation bei und wurde 1998 ihr Vorsitzender. Die Federation leitete Kampagnen gegen sexuelle Übergriffe auf dem Campus, die Kommerzialisierung der öffentlichen Bildung und Umweltzerstörung – Anliegen, die später allesamt Teil seines Wahlprogramms werden sollten. Anschließend gründete Saki die Partei Gano Samhati Andolon und wurde Mitglied des Zentralkomitees des anti-imperialistischen Komitees für den Schutz der Nationalen Ressourcen vor ausländischer und einheimischer Plünderung. Dem Komitee gelang es, das geplante Phulbari-Kohlebergbau-Projekt zu blockieren, und seit nunmehr fünf Jahren führt es eine nationale Kampagne gegen ein geplantes indisches Kohlekraftwerk nahe der UNESCO-Weltkulturerbestätte der Sundarban-Urwälder. Im Jahr 2015 war Saki Kandidat bei der Bürgermeisterwahl von Dhaka, wies jedoch den Wahlausgang zurück, nachdem es verbreitet Vorwürfe von Wahlbetrug durch die Regierung gegeben hatte. Er ist Verleger des kritischen linken Verlagshauses Samhati und Mitbegründer der Demokratischen Linken Allianz von Parteien in Bangladesch.

Naeem Mohaiemen verknüpft Essays, Filme und Mixed-Media-Installationen zur Erforschung von Grenzen, Kriegen und Zugehörigkeit im Kontext der Meilensteine der Entkolonialisierung, die die Unabhängigkeit Indiens und Pakistans von Großbritannien (1947) und die Trennung von Pakistan und Bangladesch im Jahr 1971 darstellen, sowie der vielfältigen Einigungsversuche des Projekts des Internationalen Sozialismus in der Dritten Welt. Obwohl er Filme macht, die eine linke Tendenz des Verkennens betonen (in Aufständen gegen Machthaber und in der staatlichen Machtausübung), bildet die Hoffnung auf eine noch zu gebärende globale Linke als einzige Alternative zu den Silos von Ethnien und Religionen die ideologische Basis seines Werks. Ausschnitte daraus wurden bereits gezeigt auf den Biennalen von Sharjah, Kochi, Marrakesch und Venedig, im Kiran Nadar Museum und im Museum of Modern Art, New York. Das jüngste Kapitel trägt den Titel Two Meetings and a Funeral und wird auf der documenta 14 in Kassel gezeigt. Es handelt sich um eine Zwillingsveranstaltung zu Tripoli Cancelled (Tripoli abgesagt) auf der documenta 14 in Athen. Naeem schreibt an seiner Dissertation im Fach Anthropologie an der Columbia University, die die Geschichte linker Bewegungen außerhalb staatlicher Schirmherrschaft behandelt und dabei auch auf die politische Partei Zonayed Sakis eingeht.

Gepostet in ­­­Öffentliche Programme
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