Naeem Mohaiemen versteht die Protagonist_innen seiner Arbeiten als Instrumente einer Auseinandersetzung mit den Strukturen der „globalen Geschichte“ (Samuel Moyn) und bildet dabei eine Art Meta-Archiv. Die Projekte des 1969 in London geborenen Künstlers und Schriftstellers erkunden die Geschichte südasiatischer Regionen mit ihren Schnittstellen und linken Aufständen ebenso wie den Bangladesch-Krieg von 1971 und die Rolle verfehlter Wahrnehmungsprozesse im Rahmen einer globalen Solidarität. Ihre Dramaturgie beruht auf persönlichen Geschichten, in die familiäre Betrachtungen und populärkulturelle Reflexionen zur Geschichte einfließen. Mohaiemens Protagonist_innen fungieren gewissermaßen als Träger_innen und Begleiter_innen der Entwicklungen offizieller Chroniken: Revolutionär_innen, Romanautor_innen, Doppelagent_innen, Märtyrer_innen, Theoretiker_innen.
Von 2001 bis 2006 war Naeem Mohaiemen Mitglied von Visible Collective. Die aus Künstler_innen, Aktivist_innen und Rechtsanwält_innen bestehende Gruppe befasste sich mit den Auswirkungen von Racial Profiling, „No Fly List“, Abschiebung und paranoiden Sicherheitsmaßnahmen auf die muslimische Unterschicht in den USA nach 9/11. Immer wieder untersucht der Künstler, was es bedeutet, williger oder zufälliger Zeuge von Schlüsselereignissen der Moderne zu sein. In Afsan’s Long Day (The Young Man Was, Part II) (2014) münden Fotografien, Filmmaterial und der Begleitkommentar des Künstlers zusammen mit den Tagebuchaufzeichnungen des linken Journalisten und Intellektuellen Afsan Chowdhury über die 1970er Jahre in Reflexionen zur Baader-Meinhof-Gruppe. Abu Ammar Is Coming (2016) stellt die Frage nach einer neuen Kartografie von Zugehörigkeiten und revolutionären Bewegungen anhand von fotografischem „Beweismaterial“ für die Unterstützung der PLO durch Freiheitskämpfer aus Bangladesch im Beirut der frühen 1980er Jahre – eine intensive Begegnung im „Danach des Bereits-zu-Späten“, wie es der Künstler selbst formuliert. Dies führt uns zu der Arbeit Two Meetings and a Funeral (2017), die in Kassel im Rahmen der documenta 14 vorgestellt wird. Das Projekt untersucht, in welcher Form politische Gruppierungen wie das Non-Aligned Movement (NAM) und die Organisation of Islamic Cooperation (OIC) Machtbeziehungen in neu gegründeten Nationalstaaten festschreiben, statt sie zu unterlaufen. Zusammen mit seinem Protagonisten, dem Historiker Vijay Prashad, wandert Mohaiemen dabei durch das UNO-Gebäude in New York und die Straßen von Algier, das 1973 Schauplatz einer historischen NAM-Gipfelkonferenz war.
In United Red Army (The Young Man Was, Part I) (2012) entfaltet sich ein im Fernsehen übertragenes Geiseldrama – Entführung des Japan-Airlines-Flugs 472 nach Dhaka – in Form von mehreren Kommuniqués zum Thema revolutionäre Gewalt. Auch das in Athen gezeigte Projekt Tripoli Cancelled (2017) setzt sich mit dem Topos des Flughafens auseinander, analysiert jedoch eine andere Form der Entfremdung. Es basiert auf einer Erfahrung von Naeem Mohaiemens Vater, der im Flughafen von Athen festsaß. Sein Eingesperrtsein symbolisiert den Zustand des In-der-Schwebe-Seins außerhalb nationaler Grenzen und die damit verbundene Unsicherheit. Der Film entwickelt eine Choreografie der Entfremdung in Form alltäglicher Routinen, gekennzeichnet durch Humor, Gefühl und eine unbeirrbare Vorstellungskraft.
— Natasha Ginwala