Schlussfolgerungen, hat einmal jemand gesagt, sollten stets zeitgebunden sein. Die Forschung des Studio 14, die ungeregelt über fortwährende Umwege führt und sich weigert, die Gestalt eines endgültigen Resultats anzunehmen, führt in Kassel die kollektive Untersuchung fort, die in Athen begonnen wurde, und schlägt neue Ansatzpunkte vor, die noch zu schildern sind.
Das antike Griechenland, das Dionysische wie das Apollinische, stellt das Meer dar, zu dem die westliche Kultur – vom Mittelalter bis zur Gegenwart – zyklisch zurückkehrt. Mit unterschiedlichen Bestrebungen und unterschiedlich starker Wucht stürzt sie sich wie ein Tiefseetaucher in die Fluten, um mysteriöse Kreaturen und Objekte aus ihnen zu bergen. Es ist das Griechenland der Romantiker_innen, das die modernen Prophet_innen auf der Suche nach ihren eigenen Traditionen ausgegraben haben. Auch ist es das trügerische Labyrinth von Knossos, gebaut aus Stahlbeton; die Wohnungspolitik für die Geflüchteten, die aus der Türkei ausgewiesen werden; die „mediterrane“ rationalistische Architektur der italienischen Kolonisten, die manche Leute immer noch beharrlich brava gente nennen. Eine Geschichte der Besatzungen, von der verschwommenen, facettenreichen, irreduziblen Identität Europas bis zu der buchstäblich erfundenen Tradition des modernen Europas.
„Der Parthenon war in meinen Augen und auf sublime Weise ein Mythos, den ich verabscheute: die intellektuelle Klarheit, die geometrische Hochnäsigkeit, die Ignoranz des Magma, der Unordnung, der Träume, der Dämonen und Albträume; ich war konfrontiert mit dem obsessiven Mythos dessen, was Europa angeblich werden müsste“, warnte Giorgio Manganelli – ein aparter Schriftsteller –, als er 1971 von seiner einzigartigen Reise durch das magmatische „Schwarzafrika“ nach Athen zurückkam.
Griechenland: Eine fragwürdige Identität, die momentan wieder von Tausenden von Männern und Frauen diskutiert wird, die an diese Küste gespült wurden, die aus anderen Kulturen stammen, die andere Sprachen sprechen, entgegengesetzte Wünsche haben und willens sind, die hiesige Sprache zu erlernen ebenso wie den Volksgeist, den die Märchen der Brüder Grimm überlieferten. Es ist die See der Piraten- und Handelsschiffe, bis hin zu den gigantischen Containerschiffen der Logistikunternehmen heutzutage. In den Schiffen fahren Besatzungen ungezählter Sprachen. Es sind Schiffe der großen Expeditionen und des globalen Markts, die sich seit 1600 bis auf den heutigen Tag wiederholen, stets auf dieselbe Weise, stets auf andere Weise, entlang neuer wie alter Routen.
Studio 14 macht sich daran, die Mehrdeutigkeit dieser Räume zu bewohnen, das Reale und das Imaginäre des Ortes, und durch gemeinsame Forschung die Perspektiven der Entfremdung umzusetzen und so Künstler_innen, Schriftsteller_innen, politische Aktivist_innen, Gelehrte, Studierende und alle zusammenzubringen, die eintauchen möchten „in die Untersee-Welt der Moderne, unbewaffnet mit den Harpunen des Spezialistentums, unausgerüstet mit den Brillen des Doktrinären“, wie Italo Calvino 1956 in seiner Einleitung zu den Italienischen Volksmärchen schrieb. Studio 14 ist ein Ort der Forschung und der Arbeit, der mit Diskussionen, Lesungen, Filmvorführungen, Besichtigungen und mit einem Reservoir an Dokumenten, Büchern und Kunstwerken verschiedene Handlungsweisen gegenüber der Gegenwart zusammenträgt und miteinander verwebt, angefangen mit Europas eigener Erfindung von Griechenland.