Im Jahr 1922 bot der Diplomat und Bücherfreund Joannes Gennadius seine 26.000 Bände umfassende Bibliothek der Amerikanischen Schule für Klassische Studien in Athen an. Allerdings stellte er Bedingungen: So sollte der Bestand in einer eigenen Sammlung untergebracht werden, der Öffentlichkeit sowie Gelehrten aus der ganzen Welt zugänglich sein, und für den Fall, dass die Amerikanische Schule für Klassische Studien Griechenland verlassen würde, müsste er der Universität Athen übergeben werden. Das Gebäude, in dem sich die Bibliothek befindet, wurde von den amerikanischen Architekten Van Pelts und Thompson entworfen und auf einem von der griechischen Regierung zur Verfügung gestellten Grundstück erbaut, die Einweihung fand 1926 statt. Die Sammlung folgt dem Hellenentum von der Antike über das Osmanische Reich und die griechische Revolution von 1821 bis zu den wichtigsten Aspekten des politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Lebens Griechenlands im 20. Jahrhundert. Man findet dort Erstausgaben griechischer Provenienz, seltene Manuskripte und Karten sowie eine einzigartige Reihe von Reisetagebüchern aus dem 19. Jahrhundert. Hinzu kommen Schenkungen der Nobelpreisträger Giorgos Seferis und Odysseas Elytis, des Schriftstellers und Stadthistorikers Elias Petropoulos und des deutschen Archäologen Heinrich Schliemann.
Während der documenta 14 beherbergt die Bibliothek das von dem Kurator Igo Diarra initiierte Projekt Learning from Timbuktu, an dem Künstler_innen aus dem Netzwerk teilnehmen, das Diarra als Gründer und Direktor des Kunstraums La Medina in Bamako, Mali, aufgebaut hat. Einen erzählerischen Kontrapunkt hierzu bietet ein Film von Ross Birrell, der der von Charles Rennie Mackintosh entworfenen Bibliothek der Glasgow School of Art gewidmet ist, die 2014 durch einen Brand zerstört wurde. Währenddessen entsteht in den friedlichen Gärten der Gennadius-Bibliothek eine andere Bibliothek: 145 lithografische Platten aus Kalkstein tragen jedes einzelne Wort eines Tagebuchs, das zwar einst gedruckt veröffentlicht wurde, nun aber zu verschwinden droht. Wie Michail Bulgakow bekanntermaßen sagte: „Manuskripte brennen nicht“. Was geschrieben ist, besteht weiter.