Ausgangspunkt dieser öffentlichen Präsentation ist die von Banu Cennetoğlu für die documenta 14 in Athen entwickelte Arbeit, um eine Diskussion über Tagebücher – intime Anmerkungen zum eigenen Leben – als Quelle alternativer historischer Narrative zu eröffnen.
Gurbet'in Güncesi: Yüreğimi Dağlara Nakşettim (Gurbets Tagebuch: Ich gravierte mein Herz in die Berge) lautet der Titel von Gurbetelli Ersöz’ Tagebuch, das sie von 27. Juli 1995 bis 8. Oktober 1997 führte.
Gurbetelli Ersöz (1965–1997) war eine kurdische Journalistin und Freiheitskämpferin. 1993 wurde sie die erste weibliche Herausgeberin der türkischen Tageszeitung Özgür Gündem, die sich vor allem mit kurdischen Fragen befasste. Am 10. Dezember 1993 wurde im Hauptsitz der Zeitung in Istanbul eine Razzia durchgeführt, mehr als 90 Menschen wurden in Gewahrsam genommen. Die Herausgeberin Ersöz und 17 ihrer Kollegen wurden verhaftet. Nach dreizehn Tagen massiver Folter wurde sie zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Auch wenn sie im Juni 1994 entlassen wurde, war sie entkräftet, und ihr wurde jede weitere Ausübung ihres Berufs verboten. Im Juli 1995 beschloss sie, sich der Guerillatruppe anzuschließen.
Das auf Türkisch verfasste Tagebuch Gurbet'in Güncesi: Yüreğimi Dağlara Nakşettim wurde zuerst 1998 im deutschen Mezopotamien-Verlag, Neuss, veröffentlicht, 2014 auch in der Türkei bei Aram Yayınevi, Diyarbakır. Bis zum 26. Februar 2017 wurden in der Türkei 151 Journalisten verhaftet und 177 Medien- und Nachrichtenorganisationen geschlossen. Hunderte von Büchern wurden verboten. Ersöz’ Tagebuch, eines der verbotenen Bücher, ist ein persönlicher Bericht und ein faktenbasiertes Dokument, das auf vierzig Jahre eines andauernden Krieges und dessen viele Beteiligte blickt.
Am 8. Oktober 1997 wurde Gurbetelli Ersöz im südlichen Kurdistan getötet.
Banu Cennetoğlu lebt und arbeitet in Istanbul und Berlin. Sie beschäftigt sich mit den politischen, sozialen und kulturellen Dimensionen der Produktion, Repräsentation und Distribution von Wissen sowie mit der Frage, wie Wissen in das kollektive Denken der Gesellschaft eingeht, um Teil ihrer Ideologie zu werden. Neuere Ausstellungen u. a.: It is obvious from the map, REDCAT, Los Angeles (2017); documenta 14, Athen und Kassel (2017); und The Restless Earth, Fondazione Nicola Trussardi, Mailand (2017). Sie war Teilnehmerin der 10. Gwangju Biennale (2014); Manifesta 8, Murcia, Spanien (2010); 53. Venedig Biennale/Türkischer Pavillon (2009); 3. Berlin Biennale (2008); 1. Athen Biennale (2007); und 10. Istanbul Biennale (2007). 2006 gründete sie BAS, einen Projektraum in Istanbul, der sich auf die Sammlung und Produktion von Künstlerbüchern und -schriften konzentriert.
Dr. Murat İssi wurde 1974 in Nord-Kurdistan / Türkei geboren. Zunächst studierte er Mathematik in der Türkei, später absolvierte er ein Studium an der Fakultät für Politikwissenschaft und Geschichte der Panteion-Universität in Griechenland. Er lehrte griechisch-türkische Beziehungen an der Demokrit-Universität Thrakien. Neben Gurbetelli Ersöz’ Tagebuch, I Engraved My Heart into the Mountains, hat İssi weitere Bücher ins Türkische, Griechische und Kurdische übersetzt und zahlreiche Artikel in akademischen wie nichtakademischen Zeitschriften veröffentlicht. Sein Buch Kurdish Nationalism. Sociopolitical Concepts and Islam, 1898–1918, wird 2017 bei Papazisis Editions erscheinen. Er lebt und arbeitet in Athen.
Katerina Tselou ist Assistentin des Künstlerischen Leiters und Kuratorische Beraterin der documenta 14. Sie war Ko-Kuratorin und Koordinatorin des kuratorischen Teams der 4. Athen Biennale (2013), Kuratorin für bildende Kunst am Nationaltheater Griechenland (2009–2013) sowie Ausstellungskoordinatorin und Verantwortliche für internationale Beziehungen und Filmdistribution bei Argos, Center for Art and Media, in Brüssel (2007–2008). Als unabhängige Kuratorin hat sie Projekte in Griechenland organisiert und mit Institutionen wie dem European Film Festival und dem Theater of the South zusammengearbeitet. Katerina Tselou lebt und arbeitet in Athen.
Arnisa Zeqo ist Kunsthistorikerin und lebt in Athen. Sie ist Mitbegründerin des seit 2011 bestehenden Raums für Kunst und Theorie rongwrong in Amsterdam. Zuletzt hatte sie ein Aufenthaltsstipendium als Kuratorin am Center for Curatorial Studies des Bard College, wo sie sich mit Kunstwerken an der Grenze des Performativen beschäftigte und den konzeptionellen Essay Let’s Spit on Szeemann verfasste. Als Koordinatorin der Vermittlung ist Zeqo Teil des Teams der documenta 14 in Athen.