Angela Melitopoulos’ Werk beruht auf komplexen filmischen Kartografien in Form von Videoinstallationen. Von Nam June Paik in das Genre des Videofilms eingeführt, analysierte die Künstlerin in der Folge die philosophische Beziehung des Mediums zu Aspekten wie Zeit, Gedächtnis, Geografie und Subjektivität, insbesondere in ihrer langjährigen Zusammenarbeit mit dem Soziologen und Philosophen Maurizio Lazzarato.
Seit Ende der 1990er Jahre verbindet sie in ihrer künstlerischen Praxis die Erforschung und Darstellung politischer Geografien auf singuläre Weise mit dem Einsatz von nicht narrativen Merkmalen bewegter Bilder im Sinne einer Geografie der Emotionen und Intensitäten. Dies führte sie zu einer tief greifenden Auseinandersetzung mit europäischen Erinnerungslandschaften des 20. Jahrhunderts, mit imperialistischer Gewalt, gesehen durch das Prisma von Migrationserfahrungen, und mit devianten, minoritären und widerständigen Subjektivitäten. Melitopoulos’ narrative Technik beharrt auf einem unsichtbaren kollektiven Gedächtnis der imperialen Gewalt und des Faschismus. Die gemeinsame Basis, die sich aus dieser geteilten Geschichte ergibt, ist unablässig bedroht durch eine auf neoimperialen, neoliberalen und reaktionären Ideologien beruhende Segmentierung von Erinnerung und Vorstellungskraft.
Passing Drama beispielsweise, ein bahnbrechender Video-Essay aus dem Jahr 1999, erforscht das Gedächtnis von politischen Flüchtlingen, die in den 1920er Jahren aus Kleinasien (der heutigen Türkei) nach Griechenland deportiert wurden. Viele dieser Geflüchteten (darunter Mitglieder von Melitopoulos’ Familie) mussten unter dem NS-Regime Zwangsarbeit verrichten und wurden danach wiederholt vertrieben. Durch das kunstvolle Verknüpfen von kollektivem Gedächtnis, Subjektivität und Zeit zeigt der Film Prozesse des Erinnerns und Vergessens als rhythmische Struktur. Das bewegte Bild verbindet sich mit der Bewegung im Raum – eine Technik der Exploration und Bildproduktion, die Geografie und Psychologie aufeinander abbildet und so eine andere Form des politisch Imaginären herausarbeitet.
In ihren aktuellen Arbeiten spürt die 1961 in München geborene Künstlerin der geopolitischen Geschichte experimenteller Psychiatrieformen nach, die eng mit dem Kampf gegen Faschismus und disziplinären Terror verbunden sind. Sie tut dies mittels audiovisueller Kartografien, die sich – um es mit den Worten der Künstlerin zu sagen – mit der „geheimen Kodierung der Kommunikation von Minderheitenkulturen“ beschäftigen. Dabei greift Melitopoulos auch auf Konzepte wie den „maschinischen Animismus“ zurück, die diese Kodierungen wie musikalische Refrains der Erinnerung sichtbar machen. Ausgehend von der revolutionären Psychiatrie und dem politischen Aktivismus Félix Guattaris, setzt sich Angela Melitopoulos mit dem aktuellen Angriff des Neoliberalismus auf das soziale Gefüge auseinander, wie er sich beispielsweise in der Krise Griechenlands zeigt.
— Anselm Franke