Narimane Maris Debütfilm Bloody Beans (2013), zum 50. Jahrestag der algerischen Unabhängigkeit entstanden, basiert auf einem losen, improvisierten Skript und erzählt von einer Gruppe Kinder, die – ihrer eintönigen Bohnenkost überdrüssig – beschließen, Essen aus französischen Militärkasernen zu stehlen. Dabei nehmen sie schließlich auch einen jungen französischen Soldaten gefangen. Der Film, Sinnbild für den algerischen Unabhängigkeitskrieg, spielt am Strand und in den dicht besiedelten Vierteln des modernen Algier, wo nahezu die Hälfte aller Einwohner_innen jünger als 25 Jahre und zumeist arbeitslos ist. Er ist eine eindrucksvolle Melange aus Vergangenheit (Kampf gegen die französische Besatzung) und Gegenwart (Kampf junger Menschen ums Überleben) und untersucht die emotionalen Realitäten des Kolonialismus ebenso wie gegenwärtige Formen der Entrechtung.
Dies ist auch das Leitmotiv der französischen Regisseurin, die 1969 in Algier geboren wurde und heute dort und in Marseille lebt. Mari hat eine unverwechselbare Filmsprache entwickelt, um sich mit der Vielschichtigkeit und dem Vermächtnis des Kolonialismus auseinanderzusetzen, insbesondere mit den frühkolonialen „wissenschaftlichen Expeditionen“ und „Domestizierungsfeldzügen“ unter französischer Führung. Dabei macht sie großzügig von der Fähigkeit der Kinder- und Jugendzeit Gebrauch, die Welt der Erwachsenen auf den Kopf zu stellen und erstarrte Verhältnisse fantasievoll neu zu denken und zu transzendieren. So auch in ihrem neuen Film Le fort des fous (2017) über eine Gemeinschaft junger Nomad_innen und Vagabund_innen, die als Antwort auf das imperialistische Herrschaftssystem eine imaginative utopische Gesellschaft bilden. Mari zeigt, dass prägende Erfahrungen eng mit emotionalen Realitäten verknüpft sind, während sie gleichzeitig enthüllen, wie soziale, historische und politische Kräfte Subjektivitäten herausbilden.
Wenn in Bloody Beans eine Gruppe Krieg spielender Kinder die koloniale Geschichte reinszeniert, wie sie zu Hause und in der Schule gelehrt wird, dann, weil es sich dabei um ein performatives Verfahren handelt, das nicht nur die Auswirkungen des Kolonialismus auf die Gegenwart ausleuchtet, sondern auch eine filmisch überzeugende Verschränkung fiktiver und dokumentarischer Elemente ermöglicht. Durch den Rückgriff auf Reinszenierung und Spiel vermeidet der Film jene Fallstricke, die künstlerischen Annährungen an die Kolonialgeschichte und ihre materiellen Zeugnisse allzu oft zum Verhängnis werden, und projiziert diese Geschichten stattdessen als greifbare, soziale und subjektive Realitäten der Gegenwart in eine imaginäre Sphäre.
— Hila Peleg