Zeitgenössische Maler_innen leben in einer von Computern dominierten Welt. Die marxistische Frage nach der Repräsentation und Wiederaneignung von Produktionstechniken dreht sich heute vornehmlich um Schnittstellen und Kodierungen. Oder, um es mit Daniel García Andújar zu sagen: „Wir statten dem Archiv keinen Besuch mehr ab, wir leben darin.“ Doch was geschieht mit jenen, die keinen Zugang zum Betriebssystem haben? Wie sehen die neuen Spielarten von Macht und Unterdrückung, Sichtbarkeit und Intransparenz aus, die durch digitale Technologien hervorgebracht werden?
García Andújar wurde 1966, in der letzten Phase der Franco-Diktatur, geboren, als der Nationalkatholizismus staatliche Gewalt mit einem neuartigen „Stabilisierungs- und Liberalisierungsplan“ verknüpfte, um Spanien reif für den internationalen Markt zu machen. Garrottierungen von Dissident_innen wechselten mit konsumistischer Fernsehpropaganda. Skrupellose Immobiliengeschäfte und ungezügelter Tourismus verwüsteten auch Almoradí, die in der Mittelmeerregion gelegene, südspanische Heimatstadt des Künstlers. Urlaub für die Arbeiter_innen des faschistischen Regimes: Auch du hast ein Recht darauf, deine Freizeit zu genießen!
Ursprünglich beschäftigte sich García Andújar mit Malerei und Design. In seinen Zwanzigern kreierte er Cover für Ruta-del-Bacalao-Alben, eine Art Techno, eng verbunden mit synthetischen Drogen wie MDMA und der Transition im Spanien der 1980er Jahre. Irgendwann entsagte er der Malerei und ging online. Er lernte zu programmieren und wurde Teil der ersten Netzkunstwelle. Kybernetische Prinzipien fließen ebenso in seine Arbeit ein wie die Gedanken von Künstlern wie Hans Haacke und Antoni Muntadas zu den Repräsentationssystemen Fotografie und Fernsehen. 1996 verließ García Andújar die traditionellen Räume der Kunst und initiierte das Projekt Street Access Machine ®, einen mobilen Kreditkartenleser, der Obdachlosen auch in Zeiten der Plastikwährung das Betteln ermöglichen sollte. Trotz des durch und durch fiktiven Charakters dieser Maschine lancierte Apple einen Versuch, die neue Technologie zu erwerben.
Gemeinschaft, Kommunismus, Versammlung sind in García Andújars Werk nicht als politische Utopien zu verstehen, sondern als Übungsmethoden, als Möglichkeit, sich Zugang zur Hardware zu verschaffen, als Befragung der Natur und Epistemologie des Archivs. So durchkämmte der Künstler in einem Buchprojekt für die documenta 14 Informationen zur griechischen Militärdiktatur (1967–1974) und erstellte ein Bild-Text-Glossar der faschistischen Grammatik LTI – Lingua Tertii Imperii (2016). Ziel war es – wie auch in anderen Projekten –, das dominante Betriebssystem mitsamt seinen Schwachstellen aufzudecken, zu hacken, kritisch zu nutzen und Widerstandsräume gegen die Normierung der Sprache zu schaffen, die unsere Welt prägt. Die Demokratisierung der Demokratie macht es möglich, den Code zu knacken.
— Paul B. Preciado