Die Wahl des Titels, Matter Form Facture (Material, Form, Faktur), signalisiert meine anhaltende Auseinandersetzung mit einer materialistischen Ästhetik, die ein Gegengewicht zu der Geringschätzung, mit der konzeptuelle, mediale und textbasierte Formen zeitgenössischer Kunst das Kunstwerk behandeln: Gegenständlichkeit wird in Übereinkunft mit einer suspekten Ikonizität gesehen; weil Objekt, Begehren und Fetisch eine verdorbene Aura mit sich bringen. Die Bricolage, die zwischen den 1920er und 1960er Jahren eine Reihe von theoretischen und materiellen Bedeutungen erlangte, ist nach wie vor von Wichtigkeit – am berühmtesten in Thomas Hirschhorns abjekten, subversiven und absurd konstruierten „Denkmälern“. Dennoch kann man wohl sagen, dass alles „Machen“ – Arbeit, Handwerk oder Manufaktur-Herstellung und auch ihre surreale Aufhebung in Trümmern, Abfall und Fragment –, alles, das eine ästhetische Verbindung zwischen Subjekt und Objekt erzeugt, meist bereits als Ware und dementsprechend als kompromittiert und überdeterminiert angesehen wird.
Meine Aussagen zur Materialität fußen auf einer verkürzten Bezugnahme auf einer im Sinn von Marx materialistisch zu nennenden Ästhetik, die den revolutionären „Formalismus“ in der Sowjetunion der 1920er Jahre geprägt hat. Mein Hauptargument ist in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts anzusiedeln, als eine Reihe von Ländern ihre kulturelle Befreiung erlebten und verarbeiteten und die produktive Materialität mit einem entkolonialisierten Verständnis von Ästhetik verschmolz. Weil sie aus indigenen, subalternen und situationsgebundenen Radikalisierungen schöpft, setzt sich diese in der Entwicklung befindliche Ästhetik mit historischen, ja historisierten Widersprüchen auseinander. Solcherlei Formen der politischen Agonie – wie wir sie etwa in Brasilien um die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts finden – werden nahezu mühelos mit dem westlichen Kanon fertig und generieren so alternative Verlaufskurven der Avantgarde. Ich erörtere dies in Bezug auf die Praxis von Künstler_innen, die in den Kontexten der harten Realitäten „anderswo“ in der Welt stehen, insbesondere im heutigen Indien.
—Geeta Kapur
Geeta Kapur ist Kritikerin und Kuratorin in Dehli. Ihre Essays sind in zahlreichen Anthologien abgedruckt, zu ihren Buchpublikationen zählen Contemporary Indian Artists (1978), When Was Modernism (2000) und Critic’s Compass. Navigating Practice (demnächst). Sie ist Gründungsmitglied und Herausgeberin des Journal of Arts & Ideas, ehemaliges Mitglied im Beirat von Third Text, Kuratoriumsmitglied und beratende Herausgeberin von Marg sowie Mitglied im Kuratorium von ARTMargins. Als Kuratorin betreute sie Dispossession, Johannesburg Biennale (1995); Bombay/Mumbai, Century City, Tate Modern (Co-Kuratorin, 2001); „subTerrain“, Haus der Kulturen der Welt, Berlin (2003); Aesthetic Bind, Chemould Art Gallery, Mumbai (2013–14). Sie war Jurymitglied der Biennalen in Venedig (2005), Dakar (2006) und Sharjah (2007). Sie ist Mitglied des Asian Art Council, Guggenheim Museum, New York; Mitglied des Beirats des Tate Research Center: Asia und London und des Asia Art Archive, Hongkong. Sie lehrt weltweit an Universitäten, hält Vorträge in Museen und war Visiting Fellow/Faculty Member am: Institute of Advanced Study, Shimla; Nehru Memorial Museum and Library, Delhi; Clare Hall, University of Cambridge und Jawaharlal Nehru University, Delhi.