Zerstörerische Hungersnöte gehörten in Britisch-Indien zum Alltag und waren die Konsequenz der gewaltsamen Einverleibung der Kolonie in die globale Wirtschaftsordnung. Fast 200 Jahre lang flossen die Einkünfte aus der Kolonie an ihren Beherrscher, wodurch Britisch-Indien maßgeblich zur frühen Industrialisierung des Vereinigten Königreichs beitrug, während Indien selbst auf eine Nation der Almosenempfänger reduziert wurde. „Die Zivilisation ist heute zugeschnitten auf eine ganze Bevölkerung von Vielfraße“, schrieb der Dichter Rabindranath Tagore im Jahr 1921. „Eine Zivilisation, die einen so unnatürlichen Appetit entwickelt hat, muss, um fortbestehen zu können, von zahllosen Opfern abhängig sein.“ Allgemein gesprochen, kann man behaupten, dass der Kolonialismus – zusammen mit dem Sklavenhandel – die wirtschaftliche Ungleichheit zwischen der Ersten und der Dritten Welt zementiert hat, die man bis heute beobachten kann. Die Ausbeutung der Kolonien verschlimmerte sich in Kriegszeiten und verursachte die Hungersnot von Bengalen 1943, die circa drei Millionen Menschen das Leben kostete. 1947 führte die Unabhängigkeit zu einer beträchtlich verbesserten Versorgungslage der Bevölkerung. In Indien wurde dieser Trend allerdings durch die neoliberalen „Reformen“ der 1990er Jahre, die die ökonomische Souveränität des Staates verminderten und seine Landwirtschaft in eine Krise manövrierten, gestoppt – möglicherweise gar umgekehrt. Obwohl Indien landwirtschaftliche Produkte exportiert, begehen in nicht gekanntem Ausmaß Bauern Suizid oder sie kehren der Landwirtschaft den Rücken zu. Beinahe zehn Prozent der Bevölkerung leiden unter einer beginnenden Nahrungsmittelknappheit.
Madhusree Mukerjee ist Journalist und Autor von zwei Büchern: Churchill’s Secret War: The Ravaging of British India during World War II (Basic Books, 2010) und The Land of Naked People: Encounters with Stone Age Islanders (Houghton Mifflin, 2003).