Als wir am 3. Dezember 2016 in ihrer Küche in Boston zusammensaßen, spielten María Magdalena Campos-Pons und Neil Leonard mir die Stimmaufnahme eines Freundes vor:
Mein Name ist Alfredo Comas García. Ich habe 22 Jahre als Barkeeper gearbeitet. Mein Traum ist es, eine Bar zu eröffnen oder einen bestehenden Raum in eine Bar zu verwandeln, […] die „Matanzas 1945“ heißt.
Sie hatten Comas García bei ihren umfangreichen Recherchen zu den Klängen von Matanzas-Stadt für die Matanzas Sound Map und die Bar Matanzas auf Kuba kennengelernt – zwei Projekte, die während der documenta 14 in Athen und Kassel präsentiert werden. Er verkörperte für sie den idealen Barkeeper, weil er ihr Verständnis von den sozialen Möglichkeiten einer Bar teilte, doch er verstarb wenige Wochen später unerwartet.
Matanzas ist die Geburtsstadt von Campos-Pons, einer Künstlerin, deren kontinuierliche Bekräftigung übernatürlicher Kräfte in stofflichen Untersuchungen wurzelt; ihre Arbeiten treffen ins Mark der auszehrenden kolonialen Prozesse, welche bis heute die Weltgeschichte und insbesondere die Geschichte ihres Heimatlandes Kuba prägen. Als ich mit der Künstlerin kürzlich die Stadt besuchte, in der sie 1959 geboren wurde, wurde mir klar, dass Matanzas ein ganz anderes Flair hat als die berühmte und einzigartige Hauptstadt Havanna. Überall in Matanzas mit ihren wunderbaren Proportionen, ihren vielen Brücken, klassizistischen Gebäuden und Spuren kultureller und merkantiler Schätze liest man den Slogan der Stadt: Matanzas: La Atenas de Cuba (Das Athen von Kuba).
Berichten zufolge entwickelte sich der Beiname dank eines außergewöhnlichen kulturellen Ferments, unter anderem einer eklektischen Musiktradition, die durch die über den transatlantischen Sklaven handel nach Kuba gelangten Afrikaner_innen ungemein bereichert wurde. Der in Pennsylvania geborene Komponist und Saxophonist Neil Leonard, der langjährige künstlerische Mitarbeiter und Lebenspartner von Campos-Pons (beide sind derselbe Jahrgang), hat sein Gehör für diese Klänge und die Gesellschaft, zu der sie seit 1986 beitragen, geschult. Mitglieder der Rumba-Gruppe Los Muñequitos de Matanzas waren bereits in einer Gemeinschaftsarbeit von 2015 mit dem Titel Alchemy of the Soul, Elixir for the Spirits zu hören – einer vielschichtigen Installation in Erinnerung an die Zucker- und Rum-Industrien, die Campos-Pons’ Vorfahren nach Kuba führten.
In diesen Zeiten des historischen Umbruchs auf der Insel beschäftigt sich die auf Matanzas fokussierte Arbeit von Campos-Pons und Leonard mit der kulturellen Besonderheit dieses städtischen Juwels, allerdings nie in isolierter Form, denn zu lange hat Kuba unter dem Abgeschnittensein gelitten. Um sich eine Zukunft für diese Stadt, für Kuba und darüber hinaus auszumalen, braucht es eine Karte und – auch als Hommage an das Ethos eines Barkeepers – eine Bar namens Matanzas. Können wir diese Räume möglicherweise als Gedankeninseln betreten, die auch dem griechischen Archipel hinzuzufügen sind?
— Monika Szewczyk