Am Eingang der Hochschule der Bildenden Künste Athen in der Pireos-Straße stößt man auf das griechische Heldensprichwort Ένας στο Χώμα χιλιάδες στον Αγώνα (Einer in der Erde, Tausende auf dem Schlachtfeld). Komisch verfremdet, lautet es nun so: Ένας στο MoMA χιλιάδες στον Αγώνα (Einer im MoMA, Tausende auf dem Schlachtfeld). Es handelt sich um eine augenzwinkernde Anspielung auf das Museum of Modern Art in New York, die den Horizont künstlerischen Erfolgs einebnet. Die ASFA, die auf die 1836 gegründete Königliche Kunsthochschule zurückgeht, verlegte 1992 die Bereiche Bildende Kunst, Kunsttheorie und Kunstgeschichte in die Räume der ehemaligen Textilfabrik der Familie Sikiarides. In den frühen 1990er Jahren wurden in Athen wie andernorts auch aufgelassene Industriegebäude für Kunstzwecke umgewidmet – man denke etwa an die Tate Modern in London oder an das Berliner KW Institute for Contemporary Art. Wo sonst sollten Künstler_innen ihre Positionen deutlich machen?
Fragen zur Kreativität in der Bildung und zu pädagogischen Experimenten durchziehen die Präsentation der documenta 14 in der Nikos-Kessanlis-Ausstellungshalle. Die Ausstellung greift über die westliche Metropole hinaus, sie reicht von der Arbeit des Kollektivs der Ciudad Abierta, die sich in Chile nahe Valparaiso befindet, über die Shantiniketan-Schule von Rabindranath Tagore im ländlichen Bengalen bei Kolkata bis nach Matanzas, dem „Athen Kubas“ – um nur drei der wichtigsten Schulen und Lernorte aus einer ganzen Reihe zu erwähnen, die im Rahmen der documenta 14 gewürdigt werden. Doch die ASFA hält für die documenta 14 noch viel mehr bereit als diesen in die Höhe strebenden Galerieraum. Wir bearbeiten auch weiterhin den Erdboden (το xώμα), in einem Garten, in dem Rosen, Walnussbäume (darunter der nach dem bayerischen König Griechenlands benannte „Otto-Baum“), Granatäpfel- und Feigenbäume für Farbe sorgen und Schatten spenden. Die Pflanzen teilen sich dort den Platz mit Skulpturen, die von Studierenden geschaffen wurden. An diesen Stätten behauptet sich eine gewisse Wildnis und Wildheit der Wissensproduktion.
Die ASFA zählt in der griechischen Hauptstadt zu den ersten Partnern der documenta 14, die Von Athen lernen als Arbeitstitel gewählt hat. Seit dem Herbst 2016 leitet Arnisa Zeqo im Rahmen von „eine Erfahrung“ (das Vermittlungsprogramm der documenta 14) das Seminar „Wahlverwandtschaften“, das Studierende aus verschiedenen Bereichen einlädt, sich mit Künstler_innen der documenta 14 auseinanderzusetzen. Nun, da das Graduiertenkolleg und die umfassende Sammlung von Büchern und Zeitschriften der ASFA in ein neues Bibliotheksgebäude umgezogen sind, das von dem Architekturbüro Atelier 66 (Dimitris und Suzana Antonakis) entworfen wurde, wandelt sich die frühere Bibliothek in einen gemeinschaftlich genutzten Ort, an dem „eine Erfahrung“ ihre Aktivitäten entfalten kann. Hier findet sich auch eine andere „Bibliothek“: Sie heißt „Material Matters“ und sammelt Materialien der an der documenta 14 teilnehmenden Künstler_innen, taktile Gebrauchsdinge, aus denen sich Geschichten entspinnen. So und auf anderem Wege kehrt der Geist der Textilproduktion in die Pireos-Straße 256 zurück, um herauszufinden, wie sich Ideen und Energien miteinander verweben, wie sie Muster bilden, die noch unbekannt sind.