Alexandra Bachzetsis

Alexandra Bachzetsis, PRIVATE: Wear a mask when you talk to me (2016), Produktionsstill, Foto: Blommers & Schumm

Alexandra Bachzetsis, Private Song, 2017, Performance, Stadttheather Piräus, documenta 14, Foto: Stathis Mamalakis

Alexandra Bachzetsis, Studies for Massacre—Seven Stages, 2017, Zweikanal-Digitalvideo, Installationsansicht, documenta Halle, Kassel, documenta 14, Foto: Mathias Völzke

Für Alexandra Bachzetsis sind die neuen Kommunikationssysteme, die unsere moderne Kultur prägen – Popmusik, Massenmedien, Internet –, die wahren Ursprungsorte des zeitgenössischen Tanzes. Tanz ist für sie die Schnittmenge unterschiedlicher Disziplinen, das Ergebnis sich vielfältig kreuzender Repräsentationssysteme: Malerei, Zeichnung, Architektur, Fotografie, Literatur, Kino, Fernsehen, Videoclips, Werbung, Mode, Pornografie, YouTube-Tutorials. Dabei dokumentiert sie alle Formen der zeitgenössischen Verkörperung, von Fitnessübungen bis zu Rembetiko, und schafft so ein lebendes Archiv sozialer Partituren.

Am Beginn von Bachzetsis’ choreografischer Arbeit im Jahr 2001 stand Perfect, Kollaborationen mit zahlreichen Künstler_innen an mehr als 25 Stücken sollten folgen, darunter Gold (2004), Show Dance (2004), Undressed (2005), Dream Season (2008), Étude (2012) und From A to B via C (2014). In PRIVATE: Wear a mask when you talk to me (2016), einem aktuelleren Soloprojekt, führt Bachzetsis Körperstellungen aus Yoga, Pornofilmen, Fußball und anderen Bereichen zusammen und protokolliert, mittels ritualistischer Wiederholung von Gesten, die Entstehung von sozialem Geschlecht und Begehren unter neoliberalen Bedingungen.

Für die Künstlerin sind Fred Astaire, Bob Dylan, Michelangelo Antonioni, Alejandro Jodorowsky und Michael Jackson ebenso bedeutend wie Trisha Brown – oder Lina Bo Bardi. Ihr Werk beschäftigt sich mit der Geschichte der Bildproduktion und ihren Kreuzungen und Überschneidungen, von der Flächigkeit vorperspektivischer und mittelalterlicher Darstellungen bis zu den Ausdrucksformen zeitgenössischer Kunst, einschließlich Grafikdesign und digitaler Medien. Dabei bricht sie radikal mit traditionellen Beschreibungen von Raum, Bewegung, Körper und Subjektivität. Bachzetsis führt die Bilder unserer Massenkultur auf abstrakte Modelle des Sehens und Bewegens zurück – kodifiziert nach Geschlecht, Rasse, Klasse, Alter oder körperlicher Einschränkung –, die dem Handeln des Körpers Grenzen setzen und Subjektivität normalisieren.

Die Künstlerin, 1974 in der Schweiz als Tochter einer Schweizer Mutter und eines griechischen Vaters geboren, erklärt nicht Herkunft und Identität, sondern Entwurzelung zu einem politischen und ästhetischen Schauplatz: „Weder Orte noch Sprachen vermittelten mir ein Gefühl der Zugehörigkeit. Also wollte ich mir ein solches erschaffen, einen Raum, in dem ich existieren konnte.“ Bachzetsis konfrontiert uns mit der Frage, wie in einem reglementierten System der Sichtbarkeit Handlungsfähigkeit erzeugt, wie die erotische, affektive und mikropolitische Macht der Geste zurückerobert werden kann. Die formale Differenziertheit ihrer Arbeit, der zufällige Fluss von Kodierungen in der und gegen die unausgesprochene Partitur des Normativen, verströmen eine reine, unerwartete Schönheit. Aus jedem verzerrten Bild oder Muster, zusammengesetzt aus scheinbar vorgegebenen Anordnungen körperlicher Interaktionen, spricht die Möglichkeit unbegrenzter Improvisation und Auflehnung im Rahmen bestehender Ordnungen.

— Paul B. Preciado

Gepostet in Öffentliche Ausstellung
Auszug aus dem documenta 14: Daybook
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